Das Urteil
ging. Sie berührte Hardy am Ärmel, zog dann aber sofort die Hand weg, als hätte sie sich verbrannt. »Er kann uns hier nicht hören. Nicht daß er es überhaupt könnte. Gott sei Dank ist er völlig hinüber.«
Sie zitterte am ganzen Körper. Hardy fragte sich, ob sie betrunken war. »Wer ist völlig hinüber?«
»Natürlich Phil.« Sie lachte kehlig, nervös. »Was haben Sie denn gedacht, wer? Hören Sie, es tut mir leid wegen unserer Verabredung heute nachmittag.« Sie sprach ganz klar artikuliert. »Ich hab mir gedacht, wir könnten ... aber Phil...«
Hardy winkte ab. Seine Augen gewöhnten sich an die Dunkelheit - eine dünne Mondsichel gab ein klein wenig Licht. Es steckte viel von Jennifer in Nancys Gesicht - gequält, aber immer noch attraktiv. Es war entnervend.
Sie trat von einem Bein aufs andere, schien es gar nicht zu bemerken. »Aber ich hab mir gedacht, es könnte vielleicht irgendwie meiner Kleinen helfen.«
»Vielleicht. Ich weiß es nicht. Geht's Ihnen gut?«
Sie beugte sich erneut merkwürdig unnatürlich vor, faßte sich an die Seite. »Vielleicht sollten wir uns hinsetzen.«
Ohne auf ihn zu warten, ging sie zurück zur Haustür. Davor befand sich keine richtige Veranda - eher ein vorspringender, überdachter Portikus, der von einer niedrigen Gipswand begrenzt wurde. Nancy DiStephano lehnte sich an einen der Pfosten.
»Mrs. DiStephano?«
Sie streckte die Hand vor, er solle still sein, und atmete vorsichtig, um den Schmerz erträglich zu machen, der sie offenbar quälte. Als sie ihre Fassung wiedergewonnen hatte, versuchte sie sich aufrecht hinzustellen und drehte sich halb zu ihm um. Ihre Augen waren naß, schienen aber völlig leergeweint zu sein.
Sie riß sich zusammen - die Anstrengung war deutlich zu sehen - und richtete sich auf, drehte sich dann vollständig um, um ihm ins Gesicht zu sehen. Sie hob den Kopf und holte tief Luft, rang sich zu einer Entscheidung durch und öffnete dann den Reißverschluß des Anoraks, den sie anhatte. Unter dem Anorak war sie nackt.
Ihr Körper - ihre Brüste, ihre Rippen, ihr Bauch - war grün und blau und zeigte an einem halben Dutzend Stellen dicke Striemen. Hardy stand stocksteif da, kaum mehr als einen halben Meter von ihr weg, und spürte, wie sein Körper vor Wut zu zittern anfing. Faustgroße Schwielen, Blutergüsse, wo Äderchen geplatzt waren, die Abdrücke von Händen über aufgeplatzter Haut. Er machte einen Schritt auf sie zu, faßte den Anorak an den Seiten an und legte ihn sacht um sie. Lightner hatte recht gehabt, was Jennifers Vater anging.
Sie lehnte sich erneut an den Pfosten des Portikus und ließ sich auf die Bodenfliesen sinken, schlang die Arme um ihren Körper.
»Ich hab zu Phil gesagt, daß es für Jennifer ist, daß es Jenni fer vielleicht helfen kann. Ich wollte mich nicht heimlich davonschleichen. Er hat gefragt - wieso Sie eigentlich nicht mit ihm reden wollen.«
Hardy stützte den Kopf in beide Hände. Dies war verquerer, als er sich hätte träumen lassen. »Jennifer hat den Vorschlag gemacht, daß ich mich mit Ihnen unterhalte. Wenn sie ihn vorgeschlagen hätte, hätte ich nichts dagegen einzuwenden gehabt.«
»Ich weiß. Ich hab ihm das gesagt oder es zumindest versucht.«
»Ich wollte Ihnen nicht solchen Ärger einbrocken.«
Sie faßte Hardy erneut am Arm. »Nein, nein, an Ihnen liegt es nicht. Das passiert einfach.«
Hardy hob den Kopf. »Sie müssen hier raus. Das müssen Sie melden.«
Nancy DiStephano schüttelte den Kopf. Sie hielt sich noch immer fest umschlungen, krümmte sich noch immer von hier nach da, um den wandernden Schmerz auszuhalten. Ihr Blick sagte, daß Hardy keine Ahnung hatte, wovon er sprach. »Wohin sollte ich denn gehen? Was sollte ich denn anfangen?«
»Gehen Sie irgendwohin«, sagte Hardy. »Fangen Sie irgendwas an. Aber leben Sie nicht mit so was.«
Sie schüttelte weiter den Kopf. »Aber Phil würde mich nie lassen. Nie. Er wollte nicht einmal zulassen, daß ich mich mit Ihnen treffe.«
»Sie könnten wegziehen.«
»Ich hab das schon versucht, aber wissen Sie, ich komme doch immer wieder zurück. Es geht knallhart zu da draußen in der Welt, Mr. Hardy. Hier weiß ich zumindest, daß mich jemand lieb hat...«
»Jemand, der Sie lieb hat, würde Ihnen das hier nicht antun.«
»Es passiert nicht so sehr oft. Ich begreife es ja, er hat vor allem Angst davor, mich zu verlieren. Ich sage ihm, daß er keine Angst haben muß, aber er ist so eifersüchtig ... Ich hätte Sie nicht
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