Das Vampir-Pendel
grinste verzerrt. Dann schaute er nach vorn. »Es ist okay, John, du bist auf dem richtigen Weg.«
»Toll.«
Der Pfähler ließ sich von meiner leicht spöttischen Bemerkung nicht beirren. Er deutete mit dem Daumen nach links. »Da vorn siehst du ein Waldstück.«
»Ja.«
»Dahinter mußt du rechts ab.«
»Und dann?«
»Fahren wir direkt auf das Lager zu.«
»Wunderbar.«
Er hatte sich nicht geirrt. Wir rollten über einen schmalen Weg, der zu beiden Seiten von Bäumen flankiert wurde und in der Mitte mit einer Grasschicht bewachsen war, die wie ein langer, grüner Kamm vor uns herlief. Zudem war der Weg auch durch Reifen- und Wagenspuren gezeichnet. An seinem Ende erhoben sich hohe ›Kästen‹.
Auch Marek hatte es gesehen. »Das ist das Zigeunerlager, John.«
»Sehr gut.«
Innerhalb weniger Minuten schälte es sich aus der Mischung zwischen Dunst und Staub hervor, und ich war, das gebe ich zu, ein wenig enttäuscht.
Ich kannte Lager des fahrenden Volks, die anders aussahen, hier aber regierte die Armut.
Keine Wohnwagen, keine Wohnmobile, sondern ausrangierte alte Zirkuswagen aus den fünfziger Jahren. Die Fahrzeuge standen in einem offenen Viereck zusammen.
Der bunte Anstrich übertünchte manche Armseligkeit der Behausungen.
Autos sahen wir auch. Alte Modelle, von denen einige nur noch Schrottwert hatten und andere bereits ausgeschlachtet worden waren.
Ihre Gerippe standen an den Seiten des Lager und sahen so aus, als wollten sie als Warnung vor dem Industriezeitalter gelten.
Natürlich waren wir gesehen worden, aber eine große Neugierde zeigten die Menschen nicht. Einige Kinder schauten uns entgegen. Frauen, die Wäsche in Trögen wuschen oder sie aufgehängt hatten, blickten kaum hoch, und Männer ließen sich so gut wie nicht blicken. Wir sahen nur einen dunkelhaarigen Mann, dessen Oberkörper frei war, wie er Hanteln stemmte.
Ich hielt an. Beide blieben wir für einen Moment sitzen, und Marek sagte:
»Spürst du es?«
»Was?«
»Eine gewisse Feindseligkeit. Du kannst sagen, was du willst, John, ich glaube daran, daß wir hier gegen eine Mauer laufen.«
»Mal sehen.«
»Denk an meine Worte.«
Wir stiegen gemeinsam aus. Sofort fiel mir ein bestimmter Geruch auf.
Ob in einem oder in mehreren Wagen, so genau war es nicht herauszufinden, aber es wurde gekocht, und der Geruch nach scharfen Gewürzen lag wie eine Glocke über dem Lager.
Kinder sprachen uns an.
Ich verstand sie nicht, aber Frantisek redete mit ihnen.
»Was haben sie gesagt?«
»Sie kennen Milena, aber sie haben sie noch nicht gesehen. Wir sollen mit Grando reden.«
»Wer ist das?«
Er hob die Schultern. »Frag mich was Leichteres. Ich gehe mal davon aus, daß er der Sippenchef ist.«
»Und wo finden wir ihn?«
Marek deutete nach vorn. »Das wird er sein, denke ich.«
Auch ich sah, wie die Tür eines Wohnwagens aufgestoßen wurde und ein alter Mann erschien. Er blieb auf der obersten Stufe der kleinen Holztreppe stehen, schaute uns entgegen und hatte die Augen wegen des Sonnenlichts leicht verengt. Er hielt sich jedoch sehr gerade, wie es einem Sippenführer gebührte.
Das mußte Grando sein, der einen dunklen Anzug trug und einen Hut auf dem Kopf. Da die Krempe sehr breit war, konnten wir von seinem Gesicht nicht viel erkennen.
»Ich werde mal mit ihm reden«, sagte Marek und setzte sich in Bewegung. Jetzt war ich froh, daß ich ihn mit dabei hatte, denn Frantisek verstand deren Sprache.
Es ging ihm doch schlechter, als er zugeben wollte. Seine Schritte waren ziemlich schleppend. Die Füße schleiften über den Boden, wobei sie bei jeder Berührung Staub aufwirbelten.
Marek blieb stehen. Da Grando auf der Treppe stand, mußte der Pfähler zu ihm hochschauen. Ich sah die beiden zwar, beobachtete aber auch meine Umgebung und bekam mit, daß unsere Ankunft den meisten doch nicht verborgen geblieben war.
Männer erschienen plötzlich. Sie verließen ihre Wagen oder gingen zwischen ihnen über die kleinen Wege und Lücken, denn zuvor hatten sie sich im Freien und abseits aufgehalten.
Es war selten still. Auch die Kinder redeten nicht, und so hörte ich zu, wie sich Marek und Grando unterhielten, wobei der Sippenchef mehr redete als der Pfähler. Allerdings paßten Marek einige Antworten nicht.
Immer öfter schüttelte er den Kopf.
Die beiden sprachen trotzdem weiter, bis der Pfähler in die Runde deutete und sein Finger auf einen bestimmten Wagen zeigte.
Grando nickte. Marek fragte ihn etwas.
Grando verneinte.
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