Das verborgene Feuer
stehen und drängte seine Erinnerungen zurück, denn das Bedürfnis, die Sache aufzudecken, rumorte in seinen Adern. »Das fragst du mich jedes Mal, wenn ich jemand Neuen finde.«
»Und du gibst mir darauf nie eine richtige Antwort.«
»Doch«, murmelte er, »sie gefällt dir bloß nicht.«
Am nächsten Tag schlief er lange und stand erst auf, als die Sonne schon tief am Himmel stand. Obwohl er angenehmere und entspanntere Mahlzeiten bevorzugte, hatte die arglose Frau, deren Blut er am Vorabend getrunken hatte, seinen Hunger für eine Woche gestillt, und das erlaubte ihm, zu den vornehmen Manieren zurückzukehren, die er seit dreihundert Jahren so sorgsam kultivierte.
Giovanni zog sich nachdenklich an und wählte legere Kleidung, die den De Novos vermutlich angenehm war und von seinem irritierenden Teint ablenkte.
»Ah«, rief Caspar, als er in die Küche kam. »Grau ist eine gute Wahl – lässt dich kaum wie einen Dämon der Nacht wirken.«
»Bitte, Caspar«, bat er, »triff dich endlich mit einer Frau aus Fleisch und Blut. Und zwar bald.«
Caspar grinste vor sich hin und sah von seiner Zeitung auf. »Offen gesagt treffe ich mich heute Abend mit einer Freundin. Ich habe nur gerade geschaut, welche Filme an diesem Wochenende anlaufen. Ich suche nach etwas schrecklich Blutrünstigem.«
»Ich werde deine Begeisterung für solche Filme nie verstehen.«
»Und ich nicht deine Begeisterung für
Wrestling
– also sind wir quitt.«
Giovanni verdrehte die Augen. »Gute Nacht, Caspar.«
Die Lichter der City funkelten, und er sah Ströme von Kindern verkleidet durch die Gegend streifen. Es war Halloween, und da der Dia de los Muertos auf einen Sonntag fiel, war das gesamte Wochenende dem Makabren, Grotesken und Geheimnisvollen gewidmet. Er fuhr durch die Straßen und bewunderte die aufwendigen Kostüme von Teenagern und Studenten, die in den gut besuchten Kneipen und Klubs des Montrose-Viertels an der ausgelassenen Atmosphäre ihre Freude hatten.
Er bog in den Parkplatz gegenüber dem Kunstzentrum ein und vernahm sofort Mariachi-Musik. Houstons mexikanische Gemeinde war ein tragender Teil der Kulturszene, und er war froh, einen Grund zur Teilnahme an dem seltsamen Festival zur Feier der Toten zu haben. Er sah Kinder mit aufwendiger Gesichtsbemalung, und auch ein paar Erwachsene hatten sich grell geschminkt. Es roch nach erdigen Gewürzen und Süßem, und er sah sich genau um, um Beatrice und ihre Großmutter aus der großen Menge herauszufinden.
»Giovanni!« Isadoras helle Stimme kam von einem nahen Stand. Er folgte ihrer Stimme, doch sein Blick flog zu Beatrice, die ein Getränk und einen Pappteller mit zwei Tamales in Händen hielt.
»Dr. Vecchio, wie geht es Ihnen heute?« Zum ersten Mal sah er sie mit offenem Haar. Es fiel ihr lang und glatt den Rücken hinunter, und nur einzelne Strähnen lagen über ihren Ohren. Er musste sich beherrschen, ihre Frisur nicht zu berühren, und stellte verwundert fest, wie gern er das täte.
»B, du darfst ihn sicher Giovanni nennen. Schließlich bist du nicht im Dienst.«
Er wandte sich an sie. »Meine Damen, Sie sehen heute beide prächtig aus.« Isadora trug ein dunkelgrünes Kleid. »Und Beatrice – Sie können mich gern Giovanni nennen.«
Sie trug wieder Schwarz, aber heute eine Bluse, deren tiefer Ausschnitt ihren anmutigen Hals und die Schulteransätze zeigte, und dazu einen knappen Rock, der ihr nicht einmal bis zum Knie reichte. Seltsam erfreut stellte er fest, dass sie wieder ihre Kampfstiefel trug, während sie das rubinrote Piercing durch einen kleinen Silberknopf ersetzt hatte.
»Giovanni, hm? Und einen Spitznamen haben Sie nicht?«, fragte Beatrice, runzelte leicht die Stirn und setzte hinzu: »Es muss ziemlich schwer gewesen sein, das im Kindergarten zu buchstabieren.«
Lächelnd beobachtete er, wie sie ihrer Großmutter das Getränk anbot, aber keine Anstalten machte, die Tamales auszupacken, die sie gekauft hatte.
»Ach, ich hab im Lauf der Zeit manche Namen bekommen, aber alle Männer in meiner Familie heißen Giovanni.«
»Wirklich? Ist das eine Tradition?«
»Wie heißt du?«
»Wie immer ich will.«
»Warum?«
»Weil ich den Sterblichen überlegen bin.«
Er blinzelte, um das unerwartete Bild loszuwerden. Warum wohl kamen ihm in den letzten Wochen ständig Erinnerungen an seinen Vater in den Sinn? »Bei uns ja.«
Beatrice wies auf die Stände mit den Essensverkäufern. »Tut mir leid, dass wir nicht auf Sie gewartet haben. Wir haben zwar
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