Das verborgene Feuer
Mädchen und dem attraktiven Buchhändler auftreten zu können. Er spielte nur zu gern mit, da eine Großmutter einem höflichen jungen Mann, der sich für ihre attraktive Enkelin interessierte, sicher bereitwillig Auskunft geben würde.
Außerdem wusste sie wahrscheinlich vieles über ihren Sohn und darüber, woran er in Italien gearbeitet hatte. Beatrice dagegen war noch ein Kind gewesen, als ihr Vater ums Leben gekommen war.
Als Giovanni an diesem Abend seine Runden schwamm, dachte er an das Mädchen. Sie war viel zu jung für ihn, auch wenn er erst Ende zwanzig, Anfang dreißig zu sein schien. Ihr Verhalten war eine seltsame Mischung aus Unschuld und Misstrauen, und er fragte sich, wie viel Erfahrung sie mit Männern hatte. Sie mied die Gesellschaft anderer, doch er hatte das deutliche Gefühl, dass sie kein Mauerblümchen war.
Beatrice De Novo war faszinierend, und ihr Humor und ihre Intelligenz waren weit verlockender als bei dem studentischen Durchschnitt. Ihre körperlichen Reaktionen auf ihn hatten ihm gezeigt, dass sie ihn attraktiv fand, und er würde dies auch gern einsetzen, um herauszufinden, was sie wusste und wie ihm dieses Wissen bei seiner Suche nützlich sein konnte.
»Caspar?«, rief er, als er nach dem Schwimmen ins Haus zurückkehrte.
»Ja?«, kam es aus der Bibliothek.
Giovanni stieg die Treppe hoch und stand in der Tür. Caspar hatte Feuer gemacht, und der vertraute Geruch kitzelte ihn in der Nase. Doyle hatte sich in seinem Lieblingssessel zusammengerollt; die Katze blickte auf, zwinkerte Giovanni zu und schloss wieder die Augen.
»Antwort aus Rom?«
Caspar sah kopfschüttelnd von seinem Buch auf. »Du weißt doch, wie langsam Livia manchmal sein kann. Außerdem weigert sie sich, per E-Mail zu korrespondieren, selbst mit denjenigen, die tagsüber für sie tätig sind. Ich schätze, wir bekommen erst im neuen Jahr Antwort.«
Giovanni verzog enttäuscht das Gesicht, doch ihm war klar, dass sein Freund vermutlich recht hatte.
»Du glaubst also wirklich, der Vater des Mädchens wurde zu einem von uns gemacht?«, fragte Caspar.
Giovanni schubste die Katze vom Stuhl.
»Wie viele amerikanische Dante-Forscher kamen 1992 unter rätselhaften Umständen in Norditalien ums Leben? Es kann nicht anders sein. Und falls die Gerüchte über das Buch stimmen …«
»Aber warum interessierst du dich für das Mädchen?«
»Mach dir keine Sorgen, Caspar. Ihr geschieht nichts. Und du weißt doch, wie nostalgisch Frischlinge sein können. Es heißt, er hatte Zugang zu Büchern, die mir gehörten. Jetzt habe ich Zugang zu seiner Tochter. Wenn ich diese Verbindung nutzen kann, um an Informationen zu gelangen … oder an mehr, dann werde ich das tun.«
»Glaubst du denn, dass er über deine Bücher Bescheid weiß?«
Giovanni starrte in die Flammen, während die Hitze das Wasser auf seiner Haut verdunsten ließ und sein Handtuch zu trocknen begann. »Wenn er es ist, und falls er besitzt, was man ihm nachsagt, dann ja. Es klang wahr. Livia wird es wissen, und sie weiß auch, wer ihn zu einem von uns gemacht hat. Keiner verwandelt in diesem Teil Europas jemanden, ohne dass sie davon weiß – auch wenn es gegen seinen Willen geschieht.«
»Und egal, wer ihn verwandelt hat –«
»Niemand stößt so jung auf eine so alte und wertvolle Bibliothek. Ich suche den, der ihn verwandelt hat.«
»Also warten wir ab.«
»Na ja«, erwiderte Giovanni nachdenklich, »vielleicht können wir mehr tun als das. Ich treffe mich morgen Abend mit dem Mädchen und der Großmutter.«
»Was? An einem Freitag?«
»Ich breche erst später auf.« Er zuckte die Achseln. »Keine Sorge, alter Junge.«
Caspar sah ihn nachdenklich an. »Ein Abrücken vom Gewohnten, Gio? Wo mag das nur enden!«
Kopfschüttelnd erhob er sich und ging zur Tür.
»Versuch mal, morgen telefonisch ein paar von Livias Tageshelfern zu organisieren.«
»Natürlich.« Caspar hielt kurz inne. »Sind sie das wert, Gio? Sind die Bücher diese Besessenheit wert? Nach so vielen Jahren?«
»Was hältst du in Händen, mein Sohn?«
»Ein Buch.«
»Nein, du hältst Wissen in Händen. Wissen, das über Jahrhunderte zusammengetragen wurde. Wissen, für das mancher gestorben ist. Wissen, für das einige gemordet haben.«
»Warum sollte jemand für ein Buch morden?«
»Das ist kein Buch.« Die Maulschelle ließ ihm das Ohr klingen. »Sondern?«
»Wissen.«
»Und Wissen ist Macht. Verstehst du?«
»Ja, Vater.«
Giovanni blieb klatschnass auf der Schwelle
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