Das verborgene Feuer
schon gegessen, aber hier gibt es jede Menge Verlockendes. Bitte bedienen Sie sich – wir können warten.«
Er schüttelte den Kopf. »Nein, ich habe auch schon gegessen, danke. Wollen wir uns die Kunst ansehen?«
»
Ofrendas
, Mariposa. Erst die Ofrendas«, sagte Isadora lächelnd, nahm Giovanni am Arm und steuerte mit den beiden auf das kleine Gebäude zu.
»Wissen Sie viel über den Dia de los Muertos?«, fragte Beatrice.
Er schüttelte den Kopf. »Nein, in Lateinamerika war ich kaum.« Natürlich wusste er viel darüber, zog es aber vor, ihre Erklärung zu hören.
»Normalerweise wird er erst am zweiten November gefeiert, aber im Kunstzentrum gibt es zu Halloween ein Familienfest, damit die Eltern eine Alternative zu der Sitte haben, dass die Kinder von Haus zu Haus ziehen und den Leuten mit dem Ruf ›Süßes oder Saures!‹ Leckereien abverlangen.« Beatrice lächelte zwei Kindern zu, die – als Skelett verkleidet und mit Blumen im Haar – zu den Lustbarkeiten eilten.
Giovanni sah den kleinen, in der Ferne verschwindenden Gestalten nach. »Das scheint wirklich sehr beliebt zu sein.«
»Oh ja. Früher kamen nur mexikanische Familien, aber inzwischen mögen auch viele andere diese Tradition.«
»Und die Ofrendas?«
Beatrice lächelte. »Das sind nur kleine Gaben für die Toten – Dinge, die sie im Leben geschätzt haben.«
Sie betraten das kleine Gebäude und sahen sich einen improvisierten Altar an, der mit Ringelblumen, Kreuzen und fröhlichen Skeletten dekoriert war. Dazwischen brannten kleine Kerzen. Schädel aus Zuckermasse und kleines Spielzeug lagen vor Kinderfotos; mit Tequila gefüllte Flaschen, Becher mit Schokolade und kleine, mit Essen beladene Teller standen vor den Fotos von Erwachsenen.
Der Raum war aufwendig geschmückt, und an den Wänden hing Kunst, die den Festtag feierte. Das flackernde Licht grell bemalter Opferkerzen beleuchtete den Raum, und es roch nach Weihrauch.
»Diese Dinge stammen teils von studierten Künstlern, teils von Laien«, sagte Beatrice leise und zog zwei gerahmte Fotos und eine kleine Flasche teuren Tequila aus ihrer Umhängetasche.
Isadora hatte die beiden allein gelassen, um mit ein paar Frauen am anderen Ende des Altars zu plaudern, kehrte aber bald lächelnd zurück.
»Hast du die Fotos, Beatrice?«
»Ja, hier sind sie.« Sie gab Isadora die beiden Bilder und ging mit ihr zum anderen Ende des Altars, wo ein paar weitere Familien Bilder und Gaben ablegten.
Isadora stellte die beiden Fotos auf den Altar und strich über die Rahmen. Giovanni entdeckte auf dem einen Bild einen älteren Mann, bei dem es sich um den Großvater handeln musste. Der jüngere Mann auf dem anderen Foto ähnelte Beatrice so sehr, dass er wohl ihr Vater war. Stephen De Novo blickte mit den dunklen Augen der jungen Frau aus der Aufnahme.
Giovanni überlegte, ob Stephens Augenfarbe sich bei der Verwandlung geändert hatte, wie es mitunter geschah. Seltsamerweise ertappte er sich dabei zu hoffen, sie hatte es nicht getan.
Er versuchte, die Miene zu deuten, mit der Beatrice die Tamales auspackte und auf die kleinen Teller vor den beiden Aufnahmen legte, doch ihr dunkles Haar verbarg ihre Züge. Sie stellte die Flasche Tequila zwischen die Fotos und rückte diese in einen Winkel zueinander, als könnten sie sich auf diese Weise auf dem vollen Altar besser Gesellschaft leisten.
Die beiden Frauen traten einen Schritt zurück, begutachteten die Wirkung und flüsterten dabei auf Spanisch, lächelten und lachten aber dazu. Er neigte den Kopf zur Seite und sah sich im Raum um.
Obwohl der Altar voller Todessymbole und voller Fotos von Toten war, herrschte keine Angst und kaum Trauer. Es war ungewöhnlich, trotz aller Schmerzlichkeit auf eine solche Feier zu stoßen, und Giovanni stellte fest, dass ihn das Verhalten der zu diesem Fest Gekommenen berührte.
Beatrice drehte sich lächelnd um, und er sah Isadora zu einer Gruppe älterer Frauen gehen und ihm dabei zunicken.
»Möchten Sie nach draußen? Es gibt Musik«, sagte Beatrice zu ihm. »Ich schätze, sie plaudert noch mit ihren Freundinnen und stößt dann wieder zu uns. Ich muss raus aus diesem Weihrauchdunst.« Sie fächelte sich Luft zu.
Ihm war der intensive Duft kaum aufgefallen. Er war es so gewöhnt, alle Lebensgerüche herauszufiltern, dass er es auch hier unwillkürlich getan hatte. Wahrscheinlich hatte er, wie ihm nun auffiel, in dem engen, überfüllten Raum kein einziges Mal geatmet.
»Natürlich«, sagte er, wies auf
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