Das verborgene Feuer
die Brauen runzelte.
Sie spürte einen seltsamen Druck um sich herum, der sie an die Atmosphäre vor einem Gewitter denken ließ. »Sie scheinen einfach keinen Kaffee zu mögen.«
»Stimmt«, gab er leise zurück und starrte weiter auf ihren Computer.
»Warum bestellen Sie ihn dann immer?«
Er blickte sie an, und die grünen Augen schienen immer dunkler zu werden. Beatrice sah ihn die verschränkten Arme öffnen, und seine Rechte streckte sich ihr über den Tisch entgegen. Auch die Haare an ihrem Handgelenk richteten sich nun auf.
»Gio?«, flüsterte sie und war über sein seltsames Verhalten verwirrt.
Er setzte sich auf, als rüttelte er sich aus einer Trance. »Ich mag den Geruch – den von Kaffee, meine ich. Nur der Geschmack gefällt mir nicht.« Dann ergriff er seine Umhängetasche. »Ich muss jetzt gehen.«
»Ach?« Sie war verwirrt über die seltsame Unterhaltung und die unvermittelt wieder klare Luft. Es schien fast, als würde sie plötzlich besser hören, wie es mitunter geschieht, wenn man nach Überwindung großer Höhenunterschiede gähnt.
»Ja, ich muss mit Caspar sprechen. Das hatte ich ganz vergessen.«
»Na dann.« Sie räusperte sich und versuchte, die Stimmung aufzuhellen. »Viel Spaß in der Fledermaushöhle.«
»Wie bitte?«, fragte er stirnrunzelnd.
Sie schüttelte den Kopf. »Schon gut.«
»Ach ja, die Fledermaushöhle.« Er lachte leise. »Ich werde Alfred Grüße von Ihnen ausrichten.«
»Tun Sie das.«
Er zögerte, als wollte er noch etwas sagen, lächelte dann aber nur ein wenig.
»Gute Nacht, Beatrice.«
Sie sahen sich noch ein paar Sekunden lang an, ehe er sich zum Gehen wandte.
»Gute Nacht, Batman!« Sie hörte ihn beim Verlassen der Cafeteria lachen, blieb sitzen, trank ihren Kaffee aus und sah in die Richtung, in die er verschwunden war. Etwas beunruhigte sie, aber sie wusste nicht recht, was.
Sie träumte in dieser Nacht. Es waren dunkle, verdrehte Träume, durch die das Gesicht ihres Vaters wie ein bleicher Mond geisterte. Anders als in ihren Albträumen als Teenager war sie diesmal aber nicht allein: Giovanni stand neben ihr, und sanfte blaue Flammen leckten über seine Haut.
In der Woche darauf fehlte er in der Bibliothek; tatsächlich sah sie ihn erst zwei Wochen später wieder, als er zu seinen üblichen Abendstunden in den Lesesaal kam. Er stellte seine Umhängetasche ab, füllte wortlos den Leihschein aus und wartete geduldig darauf, dass sie ihm das tibetische Manuskript an den dunklen Holztisch brachte.
Sie holte es ihm, und in ihren Augen blitzte Zorn über sein gleichmütiges Auftreten. Beatrice wusste, dass es unvernünftig war, doch als er letzten Mittwoch nicht zur regulären Zeit in die Bibliothek gekommen war, hatte sie das Gefühl gehabt, versetzt worden zu sein. Sie hatte ihn nach ihrer seltsamen Unterhaltung in der Cafeteria sehen wollen, doch das war nicht geschehen.
Ihre lebhafte Vorstellungskraft brachte ihn immer mit ihrem toten Vater in Verbindung, und so überschnitten sich die Gesichter der beiden auch in ihren Träumen. Ihr kamen Erinnerungen in den Sinn, die sie hatte vergessen wollen: ein blasses Gesicht, das sie bei der Übergabe der Schulabschlusszeugnisse im Hintergrund entdeckt hatte; seltsame Anrufe aus dem Ausland, bei denen stets nur Schweigen und schließlich ein Klicken zu hören gewesen war; und jedes Mal das Kribbeln im Nacken, wenn sie sich auf etwas aus dieser dunklen Zeit ihrer Jugend besinnen wollte.
Irgendwie führte sie ihr inneres Chaos auf das Auftauchen von Dr. Giovanni Vecchio zurück und sie spürte einen seltsamen Groll auf den schweigsamen Mann. Wortlos arbeiteten sie die nächsten zwei Stunden lang, und dumpfe Kopfschmerzen begannen hinter ihren Augen zu klopfen.
Um Viertel vor neun gab er ihr das Manuskript, steckte seine Notizen ein und ging zehn Minuten vor Schließung des Lesesaals, was sie unerklärlich zornig machte. Beatrice biss sich auf die Lippen, um nicht vor Enttäuschung aufzuschreien, und wartete an der Aufsichtstheke, bis es neun Uhr war.
Nach Schichtende trat sie auf den Flur und wollte den Lesesaal hinter sich abschließen.
»Beatrice.«
Sie schnappte nach Luft, als sie Giovanni ihren Namen sagen hörte, und wandte sich um. Da stand er – reglos wie eine Statue – auf halbem Weg zum Treppenhaus. An diesem Abend war er ganz in Schwarz gekleidet, und seine helle Haut und die seltsamen Augen glühten im Dunkel des vierten Stocks beinahe.
»Gut«, murmelte sie leise vor sich hin, »ich
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