Das verborgene Kind
meine, ich danke dir wirklich.«
Sie trat um die Theke herum, umarmte ihn und fühlte sich angenehm mitleidig und entsetzt, beides zugleich. Er legte die Arme um sie und drückte sie fest.
»Viel Glück«, sagte sie und machte sich rasch los.
Eilig brachte sie ihn zur Tür, schloss sie hinter ihm und starrte darauf. Zu ihrer Erleichterung begann Rosie zu schreien. Imogen wandte sich ab und rannte die Treppe hinauf.
Nick fuhr langsam. Er hatte keine Lust auf die bevorstehende Begegnung. Unterwegs übte er, was er seinem Vater sagen würde. In seinem Herzen segnete er Im dafür, dass sie Partei für ihn ergriffen hatte: Er hatte seiner Mutter nie gestanden, wie gern er Imogen mochte. Sogar als sie noch kleine Kinder waren, war sie entschlossen gewesen, ihm Matt und Im als Usurpatoren darzustellen, und ihr zu Gefallen hatte er mitgespielt. Aber Im war so ein liebes Kind gewesen und zu einem sehr hübschen Mädchen herangewachsen. Dadurch, dass niemand aus der Familie von ihrer Liebelei gewusst hatte, war sie noch aufregender erschienen. Nicht einmal Matt hatte etwas geahnt. Nick lächelte beinahe. Es hatte Spaß gemacht, sie alle zum Narren zu halten. Allerdings hatte er bei Lottie immer so einen Verdacht gehabt; sie schaute ihn manchmal so direkt an, dass er nicht in der Lage gewesen war, ihr in die Augen zu blicken. Komische Frau, seine Tante Lottie. Sie war so ganz anders, als man sich eine Tante vorstellt. Er fragte sich, ob er auf ihre Unterstützung rechnen könne. Vielleicht sollte er alles zuerst ihr gestehen und es dann ihr überlassen, Dad die Neuigkeiten mitzuteilen.
Bei dem Gedanken schlug Nick leicht mit der Faust auf das Steuer und schüttelte angewidert den Kopf. Aber bei dem Gedanken an das bevorstehende Gespräch wurde ihm übel. Sein Vater hatte immer zu ihm gestanden, sich immer auf seine Seite geschlagen; aber er war von der alten Schule, so geradlinig. Nick zog eine Grimasse. Natürlich war er in der Vergangenheit ein paarmal in Ungnade gefallen; dieser Ladendiebstahl, als er auf dem Internat war, zum Beispiel, und ein kleines Drogenproblem an der Universität; aber nichts wirklich Schlimmes, nichts Ernstes. Nicht so wie dieses Mal.
In seiner Verzweiflung stöhnte er laut auf. Er hätte alles gegeben, wirklich alles, um die Uhr zurückzudrehen. Als er sich der Mautstelle näherte, verlangsamte er das Tempo, doch das Häuschen war nicht besetzt. Das erstaunte ihn nicht; heute war es zu kalt, um herumzustehen – und zu kalt, um aus dem Wagen zu steigen und Geld in den Schlitz zu werfen. Außerdem hatte er kein Kleingeld dabei. Er würde eben nächstes Mal doppelt bezahlen. Unterdessen fuhr er weiter und winkte jedem, der ihn vielleicht vom Fenster des Cottage aus beobachtete, besänftigend zu. Vielleicht würde man ihn erkennen und Verständnis haben.
Auf der gesamten Fahrt über die gewundene Straße, die durch Allerpark Combe und nach Porlock hineinführte, dachte er über Alice und die Kinder nach.
»Wirst du deinen Eltern davon erzählen?«, hatte er seine Frau kleinlaut gefragt.
Sie hatte ihm den kalten, verächtlichen Blick zugeworfen, der in letzter Zeit normal zu sein schien.
»Nein«, antwortete sie. »Ich glaube nicht, dass ich es ertragen könnte, wenn sie wüssten, was du für ein unmoralischer Schwachkopf bist. Wenn du die Sache in Ordnung bringen kannst, wird niemand außer uns was davon erfahren. Ich könnte ganz bestimmt nicht damit leben, wenn es allgemein bekannt würde.«
Gedemütigt hatte er ihre scharfe Kritik hingenommen; etwas anderes war ihm auch nicht übrig geblieben.
»Wenn du schon so etwas Abscheuliches tun musstest, dann war zumindest dein Timing gut. Die vierzehn Tage Frühjahrsferien sind schon seit Ewigkeiten gebucht, daher werden meine Eltern keinen Verdacht schöpfen. Nur dass geplant war, dass du zu uns stoßen solltest, wann immer du kannst. Nun ja, ich fürchte, das musst du vergessen. Ich werde irgendeine Krise für dich erfinden. Du kannst mir eine SMS schicken, wenn du weißt, was Milo dazu sagt.«
Vergiss nicht , hätte er am liebsten zu seiner Verteidigung geschrien, wofür wir das Geld ausgegeben haben. Zum Beispiel für diesen zweiwöchigen Skiurlaub in Verbier, wo du darauf bestanden hast, ein Chalet zu mieten und sechs Freunde einzuladen, um ihnen ihre Gastfreundschaft zu vergelten; gar nicht zu reden von deinem neuen Mercedes, den du unbedingt haben wolltest.
Natürlich hatte er nichts gesagt; für das, was er getan hatte, gab es keine
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