Das verborgene Kind
öffentliche Erklärung nicht recht wäre. Matt wusste nie, wie weit Milo Venetia ins Vertrauen zog – wusste sie zum Beispiel von Nicks Fehltritt? –, und er sah ein, dass es vernünftig war, damit zu warten, bis er mit Milo allein wäre.
Er konnte seine Aufregung nicht zügeln und stand auf.
»Ich glaube, ich mache einen Spaziergang«, erklärte er. »Eine schnelle Runde, bevor der Schnee ganz verschwunden ist. Pud, lass den Kuchen in Ruhe! Komm mit, und verschaff dir etwas Bewegung!«
15. Kapitel
N achdem Matt gegangen war und Lottie das Teegeschirr abgetragen hatte, saß Milo einen Moment da und grübelte. Er fühlte sich mürrisch und außerstande, auf Venetia einzugehen, die jetzt über die arme alte Clara plauderte. Die Geschichte um das Sommerhaus hatte ihn deprimiert – und Matts Bemerkungen waren nicht gerade hilfreich gewesen. Dabei hatte der Junge recht. Milo erkannte, dass es durchaus Probleme zwischen Imogen und Jules geben könnte, sollte sie darauf bestehen, in Bossington zu wohnen. Aber dadurch fühlte er sich nicht besser. Er war so froh über die Aussicht gewesen, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen – und wenn er sich selbst gegenüber ganz ehrlich war, hatte er sich auch auf Imogens Glück und Dankbarkeit gefreut. Er hätte als Wohltäter dagestanden, der dazu beigetragen hatte, dass Träume wahr wurden, während er zugleich Nick geholfen hätte. Er hatte Lottie das Vergnügen lassen wollen, Imogen die gute Nachricht zu überbringen, aber er hatte darauf vertraut, dass Im hocherfreut und in Feierlaune zu ihnen kommen würde. Sogar eine Flasche Champagner hatte er bereits in den Kühlschrank gelegt.
Stattdessen hatte er einen verlegenen, kleinlauten Anruf von Im erhalten, bei dem sie ihm eröffnete, es bereite Jules Sorgen, so weit von der Praxis entfernt zu wohnen. Es sähe so aus, als müssten sie Milos wunderbares Angebot ablehnen. Oh, sie hatte ihm natürlich versichert, dass es nett von ihm sei, an sie beide zu denken und so weiter, aber die Quintessenz war gewesen, dass es nicht funktionieren werde.
Milo war bitter enttäuscht gewesen und hatte es nicht ganz geschafft, seine unmittelbare Reaktion zu überwinden, den Gedanken nämlich, dass es ziemlich schwach von Jules sei, sich wegen der Fahrerei durchs Exmoor so verrückt zu machen, obwohl er den Luxus eines dicken Wagens mit Allradantrieb besaß. Herrgott! Der Junge war mal gerade knapp über dreißig. In dem Alter hatte er, Milo, in Nordirland gekämpft ... Milo zuckte die Achseln. Solche Überlegungen waren sinnlos.
Und, so sagte er sich, er hatte sich nicht nur so darauf gefreut, weil er wusste, wie sehr Imogen das Sommerhaus liebte. Sein Angebot war auch als eine Art Sicherheit für Lottie gedacht gewesen, obwohl die vielleicht eingewendet hätte, dass sie niemals zu den beiden ziehen werde. Es wäre das Beste gewesen, was er für sie tun könnte.
Verärgert rutschte er herum und versuchte sich auf das zu konzentrieren, was Venetia ihm erzählte. Sie unterbrach sich.
»Du hörst mir überhaupt nicht zu«, sagte sie in klagendem Ton. »Setz dich mal neben mich, Milo!«
Er stand auf, setzte sich neben sie, legte einen Arm um ihre mageren Schultern und sah mit einer Mischung aus tiefer Zuneigung und leichter Ungeduld auf sie hinunter. Warum zum Beispiel tuschte sie sich die Wimpern? Sie waren mit diesem schwarzen Zeug verklumpt, standen ab wie Spinnenbeine und zogen ihre papierdünnen Augenlider so brutal herunter, dass er wünschte, er hätte ein paar dieser Feuchttücher, mit denen Imogen stets Rosie das Gesicht abwischte, um die Wimperntusche zu entfernen, damit Venetias feine blonde Wimpern frei atmen konnten.
»Was machst du, Milo, wenn du um drei Uhr morgens aus einem Albtraum erwachst?«, fragte sie ihn nun. Sie erschauerte in seiner Umarmung, und er umfasste sie schützend ein wenig fester. »Du weißt, was ich meine, oder? ›Das Grauen der Nacht‹. Das ist aus einem Gebet oder einem Kirchenlied, oder? Aber es drückt genau das aus. Um diese Nachtzeit scheint es unmöglich zu sein, im Gleichgewicht zu bleiben. Alles sieht einfach nur schwarz aus, und ich versinke in Verzweiflung. Was machst du dann?«
Er spürte die Verletzlichkeit hinter ihrer Frage, ihr Bedürfnis nach Bestätigung, und antwortete wahrheitsgemäß.
»Ich rezitiere einen Psalm«, erklärte er – und sie setzte sich in seinem Arm kerzengerade auf und starrte ihn ungläubig an.
»Einen Psalm ?« Sie wirkte, als breche sie womöglich
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