Das verborgene Kind
laut mit dem Bügeleisen. Jules sollte derjenige sein, der sich schuldig fühlt, dachte sie, weil er mir das Sommerhaus verweigert, statt sich in mancherlei Hinsicht so zu verhalten, als sei ihm Unrecht getan worden.
»Er benimmt sich vollkommen irrational«, hatte sie am Mittag im Pub zu Matt gesagt. »Er benimmt sich, als hätte er die schlimmste Enttäuschung seines Lebens erfahren und nicht ich. Dabei verliere ich ganz bewusst kein Wort darüber.«
Matt hatte von seinem Bier getrunken und nachdenklich dreingeschaut.
»Aber wie verlierst du kein Wort darüber?«
»Was meinst du?«, hatte sie empört zurückgegeben. »Wenn du mich fragst, verhalte ich mich verdammt nobel.«
Matt hatte sein Glas abgestellt und tat, als schnüffle er. »Rieche ich da einen Märtyrer auf dem Scheiterhaufen?«, hatte er, an niemand im Besonderen gerichtet, gesagt, und sie hatte ihn vors Schienbein getreten, als seien sie wieder Kinder.
Imogen zog ein weiteres Kleidungsstück aus dem Korb, nahm das Bügeleisen und pflügte damit weiter über das Brett. Sie hatte sich über eine SMS von Nick gefreut, der ihr mitteilte, er werde Freitag kommen. Sie hatte ihn am Morgen, nachdem sie mit Matt telefoniert hatte, angerufen und ihm reinen Wein über das Sommerhaus eingeschenkt. Er hatte Mitgefühl gezeigt und mit keinem Wort darauf angespielt, dass ihn das anfocht. Eine Stimme in ihrem Kopf hatte ihr gesagt, dass er auch keinen Grund hatte, nervös zu werden, schließlich war der Scheck zweifellos bereits eingelöst. Milo war derjenige, der sich Sorgen machen musste. Aber sie freute sich zu sehr über Nicks liebe- und verständnisvolle Worte, um viel darauf zu geben. Sie konnte es kaum abwarten, Nick zu sehen.
Imogen faltete Jules’ Hemd. Sie war sich seiner schweigenden Präsenz auf der anderen Seite der Diele bewusst und dachte daran, dass sie vorgehabt hatte, ihm von ihrer Idee zu erzählen. Sie wollte eine Internetfirma gründen, die Familienurlaube im Exmoor anbot, und sich auf Reiterferien spezialisieren. Doch dann war er ziemlich spät und mit dieser angespannten Miene nach Hause gekommen, sodass ihr Groll wieder die Oberhand gewonnen und sie sich wie zwei Fremde benommen hatten. Imogen zuckte die Achseln und nahm eines von Rosies Kleidchen aus dem Korb. Jetzt war er an der Reihe, darüber hinwegzukommen und vernünftig mit allem umzugehen. Sie hatte getan, was sie konnte. Nun musste er versuchen, die Dinge wieder ins Lot zu bringen.
Auf der anderen Seite der Diele starrte Jules den Fernseher an, ohne etwas zu sehen. Er fühlte sich schuldig – und mehr noch: Er hatte das Gefühl, alle zu enttäuschen. Dass Milo ihnen das Sommerhaus zum Kauf angeboten hatte, hieß schließlich, dass er die Entfernung zur Praxis für vollkommen angemessen hielt. Es war immer schwierig, Milos Ansprüchen gerecht zu werden: Er war so ein zäher alter Militär, und es war leicht, sich wie ein Schwächling zu fühlen, wenn er den gebieterischen Blick auf einen richtete. Und natürlich war es schwer für Im; natürlich hätte er ihr nur zu gern das Haus ihrer Träume geschenkt. Aber er wusste, wenn er nicht aufpasste, würde er schwach werden und nachgeben. Sein Bauchgefühl sagte ihm jedoch, dass ein Umzug nach Bossington sie stark unter Druck setzen würde. Trotzdem wäre alles besser als dieser kalte Krieg zwischen ihnen. Im nahm sich stark zusammen, aber sie strahlte eine Herablassung aus, eine Art nobles Leiden, die außerordentlich irritierend wirkte. Sie benahm sich nicht, als hätten sie eine gemeinsame Entscheidung getroffen, sondern eher, als leide sie unter seinem maßlosen Egoismus.
Er fragte sich, was die anderen dazu sagten, Milo und Matt und Lottie. Er wäre am liebsten aufgestanden und hätte die Arme um Imogen gelegt. »Ach, komm schon!«, wollte er sagen. »Machen wir es doch! Kaufen wir das Sommerhaus.« Aber dann erinnerte er sich an diese langen Nachtfahrten im dichten Nebel oder bei strömendem Regen, Eis und Schnee. Und am Ende der Fahrt warteten ein nervöser Bauer und ein krankes Tier auf ihn. Sein gesunder Menschenverstand hielt ihn im Sessel. Schließlich hasste Im es, wenn er nachts gerufen wurde; sie hasste die Sorge und die Unterbrechung ihres Schlafs, und sie waren beide felsenfest davon überzeugt gewesen, dass sie so nahe wie möglich an der Praxis leben wollten. Und jetzt war es, als bestehe er auf etwas, wofür sie weder Verständnis noch Sympathie aufbrachte, was unausgesprochen darauf hinauslief, dass ihr das
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