Das verborgene Kind
gründlich abgerubbelt worden und hatte eine Belohnung bekommen. Mit seinem unbeirrbaren Spürsinn für ein weiches Herz steuerte er geradewegs auf Venetia zu. Falls irgendwo Kuchen war, würde sie ihm etwas abgeben. Er setzte sich dicht neben ihre Beine, und sie streichelte ihn und flüsterte ihm zärtliche Worte zu. Zufrieden legte er die Ohren an, warf aber Milo, der mit sardonischem Lächeln zusah, einen argwöhnischen Blick zu.
»Füttere ihn bloß nicht!«, warnte er Venetia. »Dieser Unsinn kommt bei mir nicht infrage.«
Matt lächelte über Venetias Miene, die beleidigte Unschuld ausdrückte, während sie weiter Puds Kopf streichelte.
Lottie erschien mit einem Tablett, und Matt stand auf, um ihr zu helfen. Sie schaute ihn mit diesem seltsamen forschenden Blick an, und er lächelte sie beruhigend an. Seit seiner Ankunft hatten sie eingehend über das Foto diskutiert, und sie war ebenso ratlos wie er.
»Es passt genau zu diesen anderen Fotos«, hatte er beharrlich versichert. »Wer hat sie aufgenommen und warum? Sie haben etwas Eigenartiges.«
Sie hatte seine Furcht gespürt, aber keine Antwort parat gehabt. Er hatte in der Nachrichtenagentur angerufen, wo man ihm nicht hatte helfen können. Er hatte nur erfahren, dass seit Langem eine Anweisung existierte, jegliche Post nachzusenden.
»Und das ist an und für sich schon merkwürdig«, hatte er zu Lottie gemeint. »Dads Tod liegt über fünfundzwanzig Jahre zurück. Warum sollte ihm noch jemand schreiben? Außerdem war dieser Umschlag an Mum adressiert.«
»Vielleicht versuchen Menschen, die seine Bücher oder Artikel gelesen haben, auf diese Art Kontakt zu ihm oder seiner Familie aufzunehmen«, hatte sie gesagt. »Aber du hast schon recht, nach so langer Zeit ist das äußerst ungewöhnlich.«
Angesichts des ganzen Aufruhrs um Im, Jules und das Sommerhaus hatten sie beschlossen, noch niemand anderem davon zu erzählen, und Matt war froh über die Ablenkung von seinen Sorgen. Er reichte Venetia ihren Tee, nahm seine eigene Tasse und setzte sich.
»Ich gebe Jules ja keine Schuld«, erklärte Milo wohl zum tausendsten Mal, »aber für Im tut es mir sehr leid. Sie hätte sich so gefreut! Nun ja, das hätten wir alle. Aber so ist es nun einmal. Anscheinend hat Jules sich entschieden.«
Für einen winzigen Moment meinte Matt zu sehen, wie der Ältere die Lippe hochzog und Jules unter die Weichlinge einordnete, die bei Minustemperaturen geheizte Räume und warme Betten brauchten. Zweifellos hätte es Milo nichts ausgemacht, mitten in der Nacht und bei jedem Wetter quer durchs Exmoor zu fahren, ohne sich darüber überhaupt Gedanken zu machen. Matt beschloss, den Advocatus Diaboli zu spielen.
»Für sie ist das schrecklich schwer«, meinte er, »weil sie wirklich hin- und hergerissen ist. Natürlich kann sie Jules’ Standpunkt verstehen – sie hasst es, dass er so viel fahren muss –, aber auf der anderen Seite würde sie sehr gern im Sommerhaus wohnen. Ich vermute, dass ihr bei der Armee ähnliche Probleme erlebt habt, Milo. Manche Frauen wollen einfach nicht in den Quartieren für Eheleute auf der Militärbasis leben, oder sie haben es satt, ständig umzuziehen, und möchten sich irgendwo fest niederlassen. Und dann kann es, nehme ich an, Probleme geben.«
Milo schwieg. Er trank seinen Tee und runzelte die Stirn, während Venetia Matt einen Seitenblick zuwarf und verschwörerisch zwinkerte.
»Da hast du natürlich recht«, sagte sie und beobachtete Milo amüsiert. »Man hat von uns erwartet, beim Regiment zu sein und die Jungs zu unterstützen, und manchmal war die Unterbringung grauenhaft und die vorgesetzten Offiziere und deren Ehefrauen haben verächtlich auf die Frauen herabgesehen, die es nicht hinbekamen. Die arme Sara hat es zutiefst gehasst, stimmt’s, Milo? Kam einfach nicht damit zurecht, vor allem, seit sie Nick hatte. Sie wollte ihr eigenes hübsches Häuschen auf dem Land. Mein alter Pa war immer sehr streng zu mir, wenn ich es wagte, mich zu beklagen. ›Mit dem Mann heiratest du auch den Job‹, pflegte er zu sagen. ›Hinterher nützt das ganze Jammern und Klagen nichts.‹ Ich meine, Imogen jammert natürlich nicht. Sie ist sehr tapfer, und wahrscheinlich fühlt Jules sich furchtbar, weil er ein Machtwort sprechen musste.«
»Ich habe schon gesagt, dass ich Jules keine Schuld gebe«, wiederholte Milo verärgert.
Nachdem Matt mit seiner Bemerkung für Aufregung gesorgt hatte, lehnte er sich zurück und trank seinen Tee. Er fand es
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