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Das verborgene Kind

Das verborgene Kind

Titel: Das verborgene Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Willett
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Ihm war gar nicht aufgegangen, dass sie neidisch oder wütend sein könnte; aber die Möglichkeit bestand. Er war viel zu sehr von seiner aufregenden Idee, seiner eigenen Lösung des Problems eingenommen gewesen, um daran zu denken, dass es vielleicht sehr schwer für Im sein würde, wenn er das kleine Haus besaß, das sie so sehr liebte.
    »Was soll ich denn tun?«, hatte er Lottie beklommen gefragt, als sei er wieder ein Kind. Er hatte Milo angeschaut, der irritiert wirkte.
    »Wenn Jules und sie beschlossen haben, nicht dort einzuziehen, dann sollte man doch meinen, das Nächstbeste für sie ist, wenn ihr eigener Bruder das Cottage besitzt«, hatte er gesagt. »Matt meint, Jules und sie können das Haus ebenfalls nutzen. Ich finde, das ist eine vernünftige Lösung, und ich glaube, dass du zu sensibel bist.«
    »Vielleicht muss sie sich nur daran gewöhnen, weiter nichts«, hatte Lottie sich verteidigt. »Vergesst nicht, dass sie sehr enttäuscht ist. Alles kommt darauf an, wie Matt es ihr beibringt. Sobald sie sich an die Vorstellung gewöhnt hat, freut sie sich sicher.«
    Matt erkannte, dass Milo keine Geduld mit dieser zarten Rücksichtnahme auf Ims empfindliche Gefühle hatte; aber er hatte zugestimmt, Im erst davon zu erzählen, nachdem er das Sommerhaus besichtigt hatte.
    Als Matt sich wieder dem niedrigen Raum mit den Deckenbalken und den cremefarben verputzten Wänden zuwandte, wuchs seine Aufregung erneut. Er betrachtete die breite Matratze, die Milo und er einst die steile Treppe hinaufgeschleppt und durch die schmale Tür gezwängt hatten, die Bücherregale, die sie über eine ganze Wand hinweg gebaut hatten, die kleine, bunt bemalte Kommode und das Spielzeug im Weidenkorb in der Ecke. Matt nahm den Teddy heraus, der verschlissen und abgeliebt war, und sog den modrigen Duft der Vergangenheit ein. Mit allen Sinnen wurde er in eine andere Welt gerissen. Er spürte große Hitze, hörte laute Stimmen in einer harten, fremden Sprache, roch üppige Düfte. Und er sah sich selbst als kleines Kind wie in einem Spiegelbild. Dann kam messerscharf das vertraute Gefühl des Verlusts, das Gefühl, hochgehoben und davongetragen zu werden ...
    Matt stand ganz still, hielt den Bären fest und kämpfte mit der überwältigenden Einsamkeit und der qualvollen Trennung von etwas Kostbarem. Das war nichts Neues; es würde vorübergehen. Behutsam legte er den Teddy in den Korb zurück. Dann begab er sich nach unten.

17. Kapitel
    R osie saß in ihrem Laufstall und hielt ein Bilderbuch in den Händen. Mehrere der ausklappbaren Figuren hatte sie aus dem Buch gerissen, angekaut und beiseitegeworfen; manchmal schleuderte sie das ganze Buch davon. Jetzt allerdings betrachtete sie ganz aufmerksam das Bild eines bezaubernden Hasen, der am Steuer eines kleinen Autos saß. »Hm«, murmelte sie beifällig. »Bab, Bab, Bab.«
    »Ist da ein Hase, Schätzchen?«, fragte Im. Inzwischen wusste sie, dass das Rosies Wort für einen Hasen war. Seit Nick ihr das Geschenk gemacht hatte, war Rosie von Hasen besessen: In jeder Geschichte musste ein Hase vorkommen, auf jedem Bild einer abgebildet sein. Wenn sich in einem Buch kein Hase fand, wurde Rosie erst weinerlich und dann wütend.
    Imogen schaute auf die kleine Gestalt hinunter; die blonden Haarsträhnen, die sich an ihrem zarten weißen Hals lockten; die Pausbacken; die Hände, die um das Buch lagen wie ein Seestern. Imogens Herz schien in ihrer Brust einen Sprung zu tun und wurde von Liebe, Furcht und unsagbarer Zärtlichkeit erdrückt. Sie stellte sich alle schrecklichen Dinge vor, die diesem winzigen, verletzlichen, wehrlosen und geliebten Persönchen zustoßen könnten. Sie beugte sich vor, griff nach Rosie, hob sie aus dem Laufstall und drückte sie an sich.
    »Bab!«, schrie Rosie, empört über die Unterbrechung, und zappelte in den Armen ihrer Mutter. Sie zeigte nach unten, in das Laufgitter, wo Nicks Geschenk verlassen dalag, die langen Arme und Beine ineinander verknäult. Imogen bückte sich und hob es auf.
    »Hier«, sagte sie. »Da ist Bab. Ist er nicht hübsch?«
    Zusammen betrachteten sie das Stofftier: den ziemlich flehenden Ausdruck in den großen Augen, das selbstironische schiefe Lächeln und die lässige elegante Fliege, die in seine Brust eingewoben war. Mit einem Mal wurde Imogen klar, dass Bab – wenn auch sehr entfernt – Nick ähnelte. Der Gedanke verwirrte sie, und sie verdrängte ihn.
    »Sollen wir einen Spaziergang machen?«, fragte sie Rosie. »Nur den Weg

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