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Das verborgene Kind

Das verborgene Kind

Titel: Das verborgene Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Willett
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hinauf bis zur Straße? Ja?«
    Sie ließ die Kleine auf dem Arm auf und ab hüpfen und schwang sie herum, und Rosie kicherte. Sie ließ das Buch fallen, drückte Bab an die Brust und erzeugte Laute, die darauf hinwiesen, dass ihr der Vorschlag gefiel.
    »Dann komm! Ziehen wir den Mantel an. Und deine schönen warmen Stiefel. Braves Mädchen!«
    Bald waren sie auf der Straße. Rosie saß in ihrem Buggy und umklammerte Bab noch immer. Imogen zog sich Handschuhe an, vergewisserte sich, dass sie den Hausschlüssel bei sich hatte, und warf einen Blick nach oben, um festzustellen, ob es nach Regen aussah. Der Himmel zeigte ein reines Porzellanblau und war mit schwarzvioletten Wolken getüpfelt. Leuchtend goldene Bündel Sonnenlicht fielen auf das turbulente grüne Wasser des Bristol-Kanals, und die Hügel von Wales schwebten fern und unwirklich hinter einem transparenten glitzernden Schleier. Der Weg schlängelte sich bergauf und verlor sich hinter einer Kurve. Für einen Moment stand Imogen da und schaute über das Ackerland, das zur Küste hin sanft abfiel. Die vom Wind geformten Weißdornhecken schlugen bereits aus und wirkten wie von einem grünen Dunst überzogen, und an den Eschen zeigten sich schwarze Knospen. In fernen Hecken blühten die ersten hartweißen Sterne der Schlehen, und überall leuchtete der Stechginster in strahlendem Goldgelb.
    Imogen schlug einen schnellen Schritt an, redete mit Rosie und sog die schneidend kalte Luft ein. Die Sonne fiel schräg über den Hügelrücken. Der Weg verlief nun ein wenig ebener. Buchen, an deren unteren Ästen immer noch dichtes, brüchiges Laub in einem dunklen Bronzeton hing, versperrten ihr den Blick aufs Meer. Sie trat durch das Tor, das zur Eastcott Farm führte, und hielt an, um einen kleinen Vogel zu beobachten, der über das moosige Dach eines Holzgebäudes am Feldweg hüpfte und mit dem Schnabel nach Insekten pickte. Es war ein Zaunkönig. Er schoss davon, tanzte in der Luft und stieß herab, sodass er hinter der Hecke nicht mehr zu sehen war.
    Weiter ging sie, und der eisige Wind wehte ihr ins Gesicht. Der Weg öffnete sich jetzt wieder zum Meer hin. Auf dem Uferkamm standen neue Zaunpfähle, zwischen denen Stacheldraht gespannt war. Bald würden auf dem moosigen Ufer Veilchen und Schlüsselblumen blühen, und später im Jahr würde purpurfarbenes, nach Honig duftendes Heidekraut das Land in Richtung Süden überziehen. Jetzt war nur das schwarze, brüchige Skelett der Heide zu sehen, zarte, geschwungene Geflechte, die zwischen den Ginsterbüschen wuchsen. Rosie sang ein monotones Lied und schlug Bab gegen die Seite des Wagens, und Imogen beugte sich vor, um sie anzusprechen.
    Ohne Vorwarnung prasselte plötzlich Hagel aus der strahlend blauen Luft; er hüpfte und knackte auf dem Weg und stach Imogen in die Wangen. Vor Schreck aufkeuchend, beeilte sie sich, das Verdeck über Rosies Kopf zu ziehen, und sie kauerte nieder, um Rosies kleinen Körper mit dem eigenen zu schützen. Der Hagel trommelte auf ihren Rücken, und Rosie schrie vor Angst. Imogen versuchte, den Kinderwagen umzudrehen, während sie immer noch daneben kauerte, um Rosie abzuschirmen, als neben ihr mit einem schleifenden Geräusch ein Wagen auf der eisigen Straße hielt. Das Haar hing ihr feucht ins Gesicht, und sie sah nach oben, als die Autotür zugeknallt wurde und jemand mit knirschenden Schritten um die verchromte Stoßstange herumkam.
    »Nick«, sagte sie und konnte es kaum glauben. » Nick? Was machst du denn hier?«
    »Meine zwei Lieblingsmädchen besuchen«, gab er leichthin zurück. »Komm, ich fahre dich zurück zum Cottage. Hol die Kleine aus dem Buggy, Im, und setz sie ins Auto! Ich kümmere mich um den Kinderwagen.«
    Mit Rosie auf dem Arm richtete sich Imogen ungläubig auf.
    »Warum hast du nicht gesagt, dass du kommst?«, rief sie atemlos aus, während der Wind die Hagelkörner um sie herumwirbelte.
    »Sollte eine Überraschung werden«, sagte er knapp und küsste sie. »Hallo, Rosie. Hallo, Hase. Kommt ins Warme, und wir fahren nach Hause.«
    »Dad wusste schon, dass ich komme«, erklärte er später, als sie sich die Hände an Bechern mit heißem Kaffee wärmten, während Rosie zwischen den Kissen, die Imogen in den Laufstall gelegt hatte, einnickte. »Aber ich habe beschlossen, einen Umweg zu machen und dich zu besuchen.«
    Sie nippte an ihrem Kaffee und beobachtete ihn über den Rand der Tasse hinweg. Ihre Wagen glühten; das lag aber nur daran, versicherte sie sich selbst,

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