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Das verborgene Kind

Das verborgene Kind

Titel: Das verborgene Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Willett
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einzuschätzen; er hatte schreckliche Angst davor, der Ältere könnte ihn einfach für übergeschnappt halten. »Da ist auch dieses merkwürdige Gefühl von Desorientierung, das mich befällt, wenn ich sie betrachte. Dieses hier zum Beispiel. Hast du je so ein Auto gehabt, Milo? Oder vielleicht unser Vater?«
    Milo schaute das Bild genauer an. »Schwer zu sagen, nicht wahr? Man sieht nicht viel davon. Natürlich hattet ihr in London kein Auto, oder, Lottie? Hatte Tom jemals eins?«
    »Ich wüsste nicht, dass Tom einen Wagen besessen hätte.« Lottie beugte sich über den Tisch, um das Foto anzuschauen. »Was würdest du sagen, wie alt du auf diesem hier bist, Matt? Vier? Fünf?«
    Matt schüttelte den Kopf. »Keine Ahnung, aber ich schätze schon. Auf jeden Fall glaube ich, dass es nach Dads Tod aufgenommen wurde. Deshalb frage ich mich ja, ob es möglicherweise Milos Wagen war. Um diese Zeit hast du uns zum ersten Mal nach High House mitgenommen, damit wir Milo kennenlernen, oder, Lottie?«
    Milo betrachtete den Wagen erneut. »Dann ist das nicht aufgenommen worden, als ihr in Afghanistan wart?«
    »Nein.« Da war sich Matt ganz sicher. »Das einzige Foto, das ich von dort habe, ist eines von Dad, als er das zweite Mal allein dort war. Er hat mir einen kleinen Brief geschickt und es beigelegt. Es gab nie eines von uns als ganzer Familie. Und wenn es eines gab, habe ich es nie gesehen.«
    »Was merkwürdig ist, oder?«, meinte Milo nachdenklich und nahm ein weiteres Bild zur Hand. »Man könnte doch meinen, Tom hätte ein Andenken an eure Zeit dort gewollt. Schließlich war er Fotograf.«
    Lottie lächelte leise. »Das ist es ja gerade«, sagte sie. »Das Letzte, was ein Berufsfotograf macht, sind Schnappschüsse von einer glücklichen Familie. Das war sein Job, kein Hobby. Helen muss die aufgenommen haben. Vergesst nicht, dass Matt erst achtzehn Monate alt war, als sie nach Hause zurückgekehrt sind; daher müssen all diese Bilder nach Afghanistan entstanden sein.«
    »Du kannst dich nicht erinnern, welche davon gemacht zu haben?«, fragte Matt, doch sie schüttelte den Kopf.
    »Ich konnte noch nie viel mit einer Kamera anfangen«, gestand sie. »Ein paar habe ich vielleicht gemacht, natürlich, aber ich würde es nicht schwören. Und keines von diesen sehr frühen. Du warst vier, Matt, als ich dich kennengelernt habe, und Im war ein Baby.«
    »Du erkennst also die Kleidung nicht wieder«, murmelte Milo. »Aber wieso meinst du, dich nach so vielen Jahren daran erinnern zu müssen?« Er wandte sich den neuesten Fotos zu. Das waren jedoch Porträts, auf denen nur gerade der Hemdkragen zu erkennen war: Sie lieferten keine weiteren Aufschlüsse. Er nahm das jüngste Foto, und Matt erklärte, dass es ohne eine Nachricht von der Agentur weitergeleitet worden sei.
    »Ich habe mich gefragt, ob es während meiner Lesereise aufgenommen wurde, aber warum sollte es jemand dann an die Nachrichtenagentur schicken? Und warum hat diese Person nichts dazu geschrieben? Warum kam es nicht über meinen Verlag?«
    »Ich muss zugeben, dass das sehr merkwürdig ist. Und du hast auf dem Poststempel gar nichts erkannt? Hast du zum Beispiel versucht, ihn im Internet zu überprüfen?«
    Matt errötete. »Der Stempel war richtig dick, und die Tinte war so verschmiert, dass ich gar nichts entziffern konnte.«
    Milo blickte kurz zu ihm auf. »Du hast den Umschlag also weggeworfen?«
    Matts Gesichtsausdruck verriet ihm, was er wissen wollte. »Du Schwachkopf«, meinte der Ältere, aber ohne Nachdruck. »Das war unsere einzige Spur, oder? Mach dir nichts daraus! Wenn du Thriller schreiben würdest, hättest du gewusst, dass du ihn aufbewahren musst.« Er schüttelte den Kopf. »Rätselhaft, nicht wahr? Ich wünschte, ich könnte dir eine größere Hilfe sein.«
    Matt sammelte die Fotos ein. Er vermutete, dass Milo sich insgeheim immer noch fragte, was der ganze Aufstand sollte. Er wünschte beinahe, er hätte diesem pragmatischen alten Militär seine diffusen Ängste nicht anvertraut.
    Doch während er die Möwen beobachtete, die über der einlaufenden Flut kreisten, erkannte er, dass er froh darüber war, Milo in sein Geheimnis eingeweiht zu haben.

19. Kapitel
    N ick und Lottie saßen schweigend im Gartenzimmer zusammen. Lottie strickte. Er sah zu, wie das Stück langsam wuchs und die weiche Wolle sich über ihren Knien bauschte, während das große, bunt melierte Knäuel davonrollte und wieder eingeholt wurde, und folgte der rhythmischen

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