Das verborgene Kind
fragte sich, wie viel Lottie ahnte. »Ja, natürlich«, murmelte er – und wechselte das Thema. »Wahrscheinlich freust du dich darauf, Annabels Bekanntschaft zu machen. Ist sie eine besondere Freundin?«
»Nun ja, wir alle hoffen, dass Matt eines Tages jemand Besonderen findet, aber ich habe nicht den Eindruck, dass Annabel sich irgendwie von den anderen Mädchen unterscheidet, die er bisher mitgebracht hat. Er hat ziemlich energisch darauf bestanden, dass sie eine Freundin aus dem Verlagswesen ist. Nichts weiter. Wenn wir sie kennenlernen und die beiden zusammen sehen, wissen wir mehr.«
»Der gute Matt ist ein komischer Kerl. Ich habe das Gefühl, er wartet darauf, dass ihm etwas Umwerfendes passiert.« Nick lachte. »Abgesehen von seinem phänomenalen Erfolg, meine ich. Etwas Persönliches.«
»Ich glaube, da hast du vollkommen recht«, antwortete sie feierlich.
Sie wirkte so ernst, so nachdenklich, dass er ein wenig bestürzt war und nach einem unverfänglicheren Thema suchte. »Ob Dad wohl heute Abend Venetia mitbringt?«
»Nach einer Bridge-Runde? Lieber Gott, nein.« Bei dieser Vorstellung lachte Lottie laut auf. »Milo wird sich in einem Zustand fortgeschrittener Verärgerung befinden, also warne ich dich. Venetia ist noch nie die beste Bridge-Spielerin der Welt gewesen, aber inzwischen wird sie immer verwirrter, und Milo ist zu loyal, um sie gegen eine neue Partnerin auszutauschen. Er wird Feuer spucken und uns die ganze Partie haarklein erzählen.« Sie beendete die Reihe, rollte ihr Strickzeug zusammen und legte es in den großen Weidenkorb. »Sollen wir mit Pud spazieren gehen, bevor es dunkel wird?«, schlug sie vor. »Hast du Lust?«
»Sehr gern.« Er stand auf. »Siehst du, jetzt könnte ich diesen Pullover gut gebrauchen«, scherzte er. »Draußen ist es eiskalt. Du musst schnell damit anfangen.«
»Du kriegst ihn bald«, versprach sie fröhlich. »Komm, Pud! Wir gehen raus.«
Als Milo aus der Einfahrt der Briscoes nach links abbog, war Venetia sofort klar, dass er sie nicht zum Abendessen nach High House einladen würde. Enttäuscht und leicht pikiert sank sie ein wenig auf ihrem Sitz zusammen. »Warum in aller Welt hast du Kreuz angesagt, Venetia?«, fragte er verärgert, und sie wusste, dass er nicht in der Laune war, sich umstimmen zu lassen.
»Ich hätte überhaupt nichts anderes tun können, Liebling«, gab sie in unbekümmertem Ton zurück.
Niemals nachgeben!, ermahnte sie sich finster, spähte in die Dämmerung hinaus und empfand eine dumpfe Furcht angesichts des vor ihr liegenden Abends. Sie begriff wirklich nicht, warum die Briscoes nicht zum Abschluss einen kleinen Imbiss anbieten konnten. Wenn sie als Gastgeberin an der Reihe war, gab es nach dem Spiel immer etwas Schmackhaftes: ein paar Sandwiches mit Räucherlachs, ein oder zwei Gläser Wein und dann Kaffee. Alles war besser, als einen langen, einsamen Abend vor sich zu haben. Sie erschauerte, während sie durch dunkle, schmale Straßen fuhren, zwischen kantig geschnittenen Buchenhecken hindurch, die so undurchdringlich wie Mauern waren. Nebel zog über die Felder und hing in den Hecken. Als der Wagen um eine scharfe Kurve bog, tauchte plötzlich sekundenlang ein Fuchs im hellen Licht der Frontscheinwerfer auf. Mit laufendem Motor warteten sie, während das Tier mit leuchtend grünen wachsamen Augen stehen blieb, eine Pfote hob und dann in den Schatten des Grabens verschwand.
»Oh!« Venetia stieß einen langen, zufriedenen Atemzug aus, während Milo wieder beschleunigte. »War der nicht niedlich, Schatz?« Sie entspannte sich ein wenig. Das Auftauchen des Fuchses hatte die Atmosphäre kaum wahrnehmbar verändert. Milos Ärger über die verlorene Partie verflog. »Willst du noch auf einen Drink hereinkommen, oder musst du schnell nach Hause?«
»Ich muss weiter.« Jetzt war er in der Defensive. »Ich habe dir doch erzählt, dass im Moment Nick und Matt bei uns sind und wir viel zu besprechen haben. Du weißt ja, wie das ist.«
Diese kaum wahrnehmbare Andeutung sollte ausdrücken, dass sie unvernünftige Ansprüche stellte, und sie zog im dunklen Wagen eine kleine Grimasse.
Das ist eindeutig nicht dein Abend, sagte sie sich. Aber egal.
»In Ordnung, Schatz«, meinte sie fröhlich und melodisch. »Das verstehe ich vollkommen . Grüß die Jungs schön von mir!« Dann wartete sie.
»Komm doch am Sonntag zum Mittagessen«, sagte er, als sie nach links in die St. George’s Street einbogen und hinter dem alten Kloster
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