Das verborgene Kind
praktisch Rosies Onkel. Trotzdem wusste sie, dass sie Jules nichts davon erzählen würde. Sie fragte sich, ob Nick Matt und Lottie verraten würde, wohin er fuhr – aber tief im Inneren wusste sie, dass er ihnen nichts erzählen würde.
21. Kapitel
A m Sonntag traf Venetia früh zum Mittagessen ein, zu früh. Sie wusste es, konnte aber einfach nicht anders. Es gab nichts Schlimmeres, als sich zurechtzumachen und dann untätig herumzusitzen, auf die Uhr zu starren und darauf zu warten, dass man fahren konnte. Außerdem wurde diese neue Freundin von Matt ebenfalls erwartet, und sie wollte deren Ankunft erleben. In diesen ersten Momenten, in denen alle einander vorgestellt wurden, passierte so viel, und Venetia wollte sich keine Minute davon entgehen lassen. Wie sie die Geschäftigkeit und Aufregung liebte, die es bedeutete, neue Menschen kennenzulernen, ihre Reaktionen zu beobachten und sie einzuschätzen!
»Sie ist nicht seine Freundin «, hatte Lottie erklärt, als sie angerufen hatte, um Venetia mitzuteilen, dass Annabel auch da sein werde. »Wir haben ihn gefragt, und er beharrt darauf, dass sie nur eine Bekannte aus dem Verlagswesen ist. Du weißt, was ich meine, Venetia.«
Natürlich wusste sie das. Die liebe Lottie warnte sie, damit sie nicht ins Fettnäpfchen trat. Sie argwöhnte sogar, dass Lottie hoffte, sie werde absagen und darauf bestehen, bei der Familienfeier nicht zu stören.
» Natürlich weiß ich das, Liebes«, hatte sie stattdessen geantwortet. »Was für ein Spaß! Ich kann es gar nicht abwarten, ihre Bekanntschaft zu machen.«
Und so saß sie jetzt, einen Gin Tonic griffbereit, am Holzofen und plauderte entspannt mit Nick, während Lottie im Esszimmer den Tisch deckte und Milo, der in der Küche mit den Vorbereitungen beschäftigt war, ab und zu auftauchte.
»Und esst bloß nicht die ganzen Häppchen auf!«, warnte er sie. »Lasst noch was für Matt und Annabel übrig!«
Hinter seinem Rücken grinste Venetia und sah Nick aus großen Augen verschwörerisch an.
Er grinste zurück. »Wir brennen alle darauf, Annabel kennenzulernen«, sagte er. »Matt und sie müssten eigentlich jeden Moment eintreffen.«
»Eine komische Zeit, um von London herzufahren«, bemerkte Venetia. »Sonntags zum Lunch.«
»Gestern hatten Annabels Eltern Hochzeitstag. Offenbar ein wichtiges Jubiläum, wo sie nicht fehlen konnte. Daher kommt sie heute rasch mit dem Zug her und muss morgen Nachmittag zurück.«
»Das reicht, um festzustellen, ob wir sie leiden können oder nicht«, meinte Venetia und mauste sich noch eine kleine Hand voll Kartoffelchips; sie waren einfach so köstlich, dass sie ihnen nicht widerstehen konnte. Sie kaufte sich nie welche, die Versuchung war zu groß. »Ich weiß immer gleich, was ich von jemandem zu halten habe. Und du?«
Nick schaute nachdenklich drein. »Nicht wirklich«, sagte er schließlich. »Oft glaube ich es, aber dann irre ich mich für gewöhnlich. Ich fürchte, ich kann andere Menschen nicht gut einschätzen.«
»Du rechnest eben immer damit, dass die Leute nett sind«, erklärte sie ihm. »Du möchtest sie gernhaben. Aber es ist ein großer Fehler, nach dem Guten in den Menschen zu suchen. So enttäuschend. Es ist viel besser, wenn man das Schlechteste annimmt; dann ist man angenehm überrascht, wenn etwas Positives kommt, verstehst du?«
Er brach in Gelächter aus, und sie fiel ein. »Du bist so eine Zynikerin«, meinte er. »Fast so schlimm wie meine Mutter.«
Sie verbiss sich die Antwort, die ihr auf der Zunge lag – deine Mutter ist keine Zynikerin, sondern nur eine übellaunige Kuh –, nahm ein paar Oliven und hielt Ausschau für den Fall, dass Milo plötzlich wieder auftauchte.
»Ein Jammer, dass Im und Jules nicht kommen konnten«, sagte sie. »Dann wäre es ein richtiges Familienfest geworden.«
Nick gab keine Antwort, und sie warf ihm einen Blick zu. Er biss sich auf die Lippen und runzelte leicht die Stirn, und sie setzte sich gerader auf und überlegte, ob es einen Streit gegeben hatte, von dem sie noch nichts wusste.
»Wir sind ohnehin schon ein ziemlich großes Empfangskomitee für Annabel, meint ihr nicht?« Lottie war aus dem Esszimmer aufgetaucht und setzte sich nun neben Nick. »Ich glaube, wir wirken auch so einschüchternd genug auf das arme Mädchen. Jetzt hätte ich doch gern einen Drink, Nick. Ja, ein Gin Tonic wäre gut, danke. Besucht dich jemand von deinen Kindern zu Ostern, Venetia?«
Milo kam wieder herein, bevor sie antworten konnte,
Weitere Kostenlose Bücher