Das verborgene Kind
erfolgreich, dass sie einen starken Eindruck von Ruhe und Beschaulichkeit in ihrem Häuschen zurückgelassen hatte. Doch das war noch nicht alles. Ein starker Instinkt sagte Matt, dass da noch etwas war.
Er hob den Kopf und lauschte. Ein Fahrzeug rollte langsam über die Auffahrt, die zum Haus führte. Das würde der Lieferwagen mit den Möbeln sein: ein Doppelbett, ein großes, bequemes Sofa und ein oder zwei Kleinigkeiten. Matt lief den Männern entgegen. Sie parkten neben den Scheunen und winkten fröhlich, bevor sie herauskletterten.
»Hi«, sagte er. »Schön, dass Sie da sind. Kommen Sie, schauen Sie sich um! Ich glaube, Sie werden alles über die Veranda reinbringen müssen. Der Vordereingang ist ein wenig klein.«
Mehrere Stunden später war sein Bett in dem größten Raum über der Küche aufgestellt, und das Sofa hatte gegenüber vom Kamin im Wohnzimmer Platz gefunden. Auf der Veranda stand ein geschwungener Korbsessel mit hoher Lehne, der wie eine Eierhälfte geformt war; seinen Zwilling hatte Matt in der Eingangshalle untergebracht.
Er hatte den Männern Kaffee gekocht, ihnen Plätzchen angeboten und die erste Gelegenheit genossen, im Sommerhaus den Gastgeber zu spielen, auch wenn es nur ein kleiner Imbiss war, und sich in den Komplimenten der Möbelpacker gesonnt.
Als sie fort waren, stand Matt am Fenster, betrachtete die Gemälde und nahm erneut die Stille in sich auf. Im Flieder sang eine Drossel, und Matt wandte den Kopf, um ihrem magischen Gesang zu lauschen. Zwischen den schweren lilafarbenen Blüten konnte er gerade eben die gefleckte helle Brust des Vogels erkennen, und plötzlich stand ihm ein starkes inneres Bild der Kirche von Selworthy vor Augen, die sich strahlend weiß vor dem Hügel im Hintergrund erhob und von Bäumen umstanden war. Die Vision zog ihn an und hielt ihn fest. Da verstummte die Drossel. Als habe jemand seinen Bann gelöst, machte Matt sich daran, die Kaffeebecher zu spülen und die Reste des kleinen Imbisses abzuräumen.
Auf dem Dachboden des High House ging Matt erneut auf die Suche nach den restlichen Bildern.
»Es müssen Hunderte sein«, meinte Milo. »Es heißt, sie hätte Jahre dort gelebt und ständig gemalt. Schon möglich, dass viele davon einfach im Müll gelandet sind.«
Jedenfalls hing nirgendwo eines an der Wand. Daher überprüfte Matt systematisch alle Zimmer, jede Kommode, jede Schublade, jeden Schrank – doch da war nichts. Gegenüber von seinen eigenen Räumen lag ein weiterer großer Dachboden. Nun stand Matt zwischen den Hinterlassenschaften von Generationen und schaute sich ziemlich hilflos um. Er war zuversichtlich, dass es noch mehr Hinweise gab. Es überraschte ihn nicht besonders, als er schließlich in einer zerschrammten Kommode, unter Papieren und Fotoalben, zwei dicke Mappen fand. Mit einer Art Triumphgefühl zog er sie heraus und legte sie behutsam auf das staubige Möbel. Sie waren mit Klebeband verschnürt, das er vorsichtig löste. Er hatte recht gehabt: Hier waren noch mehr Bilder. Am liebsten hätte er sie sofort betrachtet, aber er fand es nur angemessen, seinen Fund zuerst Milo zu zeigen.
Als Matt die Treppe hinunterkam, hörte er Stimmen. Milo und Lottie sprachen über Venetia. Matt drückte die Mappen vorsichtig an die Brust und betrat den Salon.
»Wir müssen es ihr wenigstens anbieten«, sagte Lottie gerade. Sie saß inmitten ihres Strickzeugs auf dem Sofa wie in einem weichen Nest. »Sie kann nicht Auto fahren, und ich kann mir nicht vorstellen, wie sie da einkaufen soll. Natürlich will sie vielleicht nicht kommen, aber sie kann auf keinen Fall allein in diesem Haus bleiben. Wie in aller Welt soll sie sich versorgen?«
Milo saß in dem Ohrensessel. »Ich bin nicht vollkommen herzlos«, sagte er ziemlich verärgert und warf Matt, der in den Raum trat, einen Blick zu. Für einen Moment betrachtete er den Packen, den Matt umklammerte, und seine Augen verzogen sich zu einem leisen Lächeln, bevor er erneut Lottie anschaute. »Natürlich kann sie herkommen, wenn sie will, aber nur – und das ist wichtig –, wenn du meinst, dass du damit klarkommst, Lottie. Einfach wird das nicht.«
»Das ist mir bewusst.« Auch Lottie sah Matt an. »Wir sprechen gerade über Venetia«, erklärte sie. »Ich finde, sie sollte herkommen, sobald sie aus dem Krankenhaus entlassen ist, doch Milo hat so seine Bedenken.«
»Und zwar nicht «, fiel Milo abwehrend ein, »weil ich sie etwa nicht hierhaben will, sondern einfach, weil ich mich frage,
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