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Das verborgene Kind

Das verborgene Kind

Titel: Das verborgene Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Willett
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der in der Sonne mit seiner Lok spielte? Matt fühlte sich stark an seinen eigenen kindlichen Helden erinnert, dessen Alter Ego im Dunkeln blieb, ihn aber gleichwohl beschützte.
    Beunruhigt und aufgeregt sah Matt die Bilder durch. Einige waren einfach bezaubernde kleine Stillleben: ein blühender Schlehenzweig, ein Busch violett blühenden Silberblatts, knospende Palmkätzchen, die vor einem strahlend blauen Himmel durchscheinend wirkten. Helenas Pinselstrich war sicher und selbstbewusst. Matt überlegte bereits, wo er diese perfekten Beschwörungen eines kalten, herrlichen Frühlings von vor mehr als hundert Jahren aufhängen solle. Die kleineren Bilder würde er zusammengruppieren – aber wohin mit den Kinderdarstellungen?
    Er fand eine Studie der Kirche von Selworthy und eine Skizze von einem Teils des Kirchhofs an der westlichen Mauer sowie eine weitere von der Kapelle in Lynch; ein Porträt des Kindes mit wehmütigem Blick, einige Studien des erst kürzlich angelegten Gartens: kleine Azaleen- und Rhododendronbüsche, die gepflanzt worden waren, um eine Hecke zu bilden, und heute baumhoch waren, und ein kleiner Fliederbusch, der inzwischen zu dem Baum herangewachsen war, in dem Matt die Drossel beobachtet hatte. Voller Freude, aber ebenso in dem zunehmenden Bewusstsein, dass etwas von ihm erwartet wurde, blätterte Matt durch seine Schätze. Es war, als stelle sich ihm eine Frage, deren Beantwortung für ihn entscheidend sei. Sorgfältig legte er alle Bilder in die Mappe zurück. Die mit dem kleinen Jungen betrachtete er vorher noch einmal genau.
    Dann kniete er vor dem niedrigen Fenster und sah in die klare Nacht hinaus. Weit im Westen lag die Sichel des abnehmenden Mondes auf dem Rücken. Tief trieb sie über dem Meer, und das kalte silbrige Licht flutete über das bewegte schwarze Wasser. Zwischen den Bäumen konnte Matt gerade noch das Dach des Sommerhauses entdecken. Die Aussicht, die erste Nacht in dem Cottage zu verbringen, verursachte ein aufgeregtes Kribbeln. Matt wollte einen besonderen Anlass daraus machen, doch er wusste nicht recht, wie er das anstellen sollte; aber er wusste, dass es wichtig war und dass nichts wieder wie früher sein würde, wenn das Sommerhaus erst einmal sein Zuhause war.

29. Kapitel
    I ch habe an damals gedacht, als Lily noch ganz klein war und wir wieder eine richtig schlechte Nacht mit ihr hatten«, erklärte Nick. »Wir hatten seit Wochen nicht richtig geschlafen und waren beide erschöpft. Na ja, Alice hatte Lily gefüttert und zurück in ihr Bettchen gelegt, aber wir waren noch nicht an der Tür, als sie wieder zu schreien anfing. Und da ging es mit mir durch: Ich sagte etwas wirklich Grobes, und Alice starrte mich nur entsetzt an. Sie nahm Lily aus dem Bettchen und sagte: ›Wag es bloß nicht, vor ihr zu fluchen!‹ oder so etwas, und sie hielt Lily so, als müsse sie das Kind vor mir beschützen. Ich habe mich schrecklich gefühlt. Als hätte ich etwas Schlimmes getan, und ich habe mich mehrmals dafür entschuldigt. Alice sah Lily an und sagte: ›Ist schon in Ordnung. Wir verzeihen dir.‹ Weißt du, das war das erste Mal, dass ›wir‹ nicht mehr Alice und ich bedeutete. Es bedeutete Alice und Lily, und ich war ausgeschlossen, und plötzlich habe ich mich furchtbar allein gefühlt. Es war, als hätten sich die Gewichte für immer verschoben und als stünde ich auf einer anderen Seite als meine Frau und mein Kind. Ich bin mir wie ein Außenseiter vorgekommen. Und das passiert jetzt wieder.«
    Schnell wechselte Imogen ihr Handy in die linke Hand, sodass sie mit der rechten versuchen konnte, Rosie das Mittagessen zu machen. Rosie saß in ihrem Hochstühlchen und beobachtete sie.
    »Natürlich wissen die Mädchen nicht genau, was passiert ist«, sagte Nick gerade. »Aber sie wissen, dass Daddy wieder mal Dummheiten gemacht hat, und alle drei sehen mich mit dieser leicht abfälligen, leicht resignierten Miene an, als würden sie mich alle nur ertragen, bis sich was Besseres auftut. Ich glaube sogar, dass die Mädchen es ziemlich genießen, dass Daddy auch so behandelt wird, wie ihre Mutter sie behandelt, wenn sie unartig sind. Aber es deprimiert mich.«
    Imogen gab ein mitfühlendes Geräusch von sich und begann, Gemüse und Kartoffeln kleinzustampfen.
    »Wirklich, ich wünschte, wir könnten uns treffen, Im. Ich glaube, du bist der einzige Mensch, der jemals wirklich auf meiner Seite gestanden und mir nie das Gefühl vermittelt hat, ein Versager zu sein. Hör zu, Alice

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