Das verborgene Kind
miteinander im Reinen seid, und ich freue mich für dich. Ich verspreche dir, dass ich nichts tun werde, was unsere Freundschaft aufs Spiel setzen könnte. Es ist nur so schön, dich zu sehen. Alte Freundschaft ohne jede Verpflichtung, genau wie vorher. In Ordnung? Schau mich an! In Ordnung, Im?« Sie nickte wortlos und biss sich auf die Lippen, und er lächelte sie an. »Hör mal, nach dem Essen fahren wir mit Rosie und Dodger hinunter ans Wasser. Hat Dodger das Meer schon mal gesehen? Wie wär’s, Rosie? Sollen wir nach dem Essen ans Meer fahren?«
Im holte tief Luft; sie spürte, wie ihre Muskeln sich entspannten. Sie schaffte es sogar, dem Paar am Nachbartisch zuzulächeln und freundliche Menschen in ihnen zu sehen, die wahrscheinlich selbst Enkelkinder hatten. Sie trank von ihrem Apfelsaft und schaute wieder Nick an. Seine Miene war so einfühlsam und liebevoll, dass sie seine Hand nahm.
»Danke«, sagte sie. »Ich wollte dir keine falschen Hoffnungen machen, Nick. Aber gerade in letzter Zeit hat es mir so gutgetan, dich zu haben, und ich möchte, dass wir Freunde bleiben.«
»Ich auch«, fiel er sofort ein. »Oh Gott, ich doch auch. Es ist okay, Im. Nichts passiert.«
Sie war so erleichtert, so dankbar für sein intuitives Verständnis, dass der Rest des Tages erfreulich verlief; besonders der Strandspaziergang und anschließend der Tee mit Sahne in einem Gasthaus nach dem langen, aufwärts führenden Rückweg, auf dem Rosie und Dodger, die beide erschöpft waren, sich den Buggy teilten.
Viel später, auf dem Heimweg, hielt sie an, um Jules eine SMS zu schicken, dass sie später kommen werde. Erst da bemerkte sie, dass sie ihr Handy zu Hause vergessen hatte.
Jules hatte das Mobiltelefon auf dem Tisch nicht gesehen und bemerkte es erst, als es zu läuten begann. Er war ohnehin schon nervös, weil Im spurlos verschwunden war und sie nichts davon gesagt hatte, dass sie ausgehen wolle. Es verwunderte ihn, dass sie noch nicht wieder zu Hause war. Sonst achtete sie immer so genau auf die Zeit für Rosies Tee oder ihre Schlafenszeit und hielt gern ihre Routine ein – und es sah ihr ganz bestimmt nicht ähnlich, ihr Telefon zu vergessen. Jetzt fragte er sich mit einem Mal, ob Im versuchte, ihn zu erreichen, doch er war so nervös, dass er das Gespräch knapp verpasste. Frustriert legte er das Handy wieder weg. Warum sollte Im sich selbst auf dem Handy anrufen? Würde sie es nicht übers Festnetz oder auf seinem Handy probieren? Obwohl sie vielleicht seine Handynummer nicht auswendig wusste ...
Diese Gedanken wirbelten durch seinen Kopf; er war inzwischen zu besorgt, um klar zu denken. Schon stellte er sich einen Autounfall vor oder dass Rosie krank geworden war ...
Wieder nahm er das Handy. Jemand hatte eine Nachricht hinterlassen. Er drückte den entsprechenden Knopf und hörte sie ab.
»Hallo, Süße, wollte dir nur noch mal sagen, wie schön der Tag war. Danke, dass du den langen Weg gemacht hast! Und sieh mal, Im, wir wissen doch, dass wir uns lieben. Daran wird sich nie was ändern, und ich wünschte immer noch, wir wären vor zehn Jahren unserem Herzen gefolgt. Aber ich weiß, dass es dafür zu spät ist. Danke für die letzten Wochen, in denen du mir das Leben gerettet hast, und danke für heute. War das nicht ein Spaß? In ungefähr zehn Minuten komme ich im High House an, und ich melde mich bei dir, sobald ich wieder in London bin. Hab dich lieb.«
Nicks Stimme. Jules hielt das Telefon in der Hand, starrte darauf, ohne etwas zu sehen, und beschwor eine Vision von Nick und Im herauf. Sie waren zusammen gewesen, aber wo? Hatten sie etwa Rosie dabeigehabt? Angst, Eifersucht und Zorn zugleich stiegen in seinem Herzen auf, und im Kopf hörte er wieder die Worte, als würden sie zurückgespult: Wir wissen doch, dass wir uns lieben. Daran wird sich nie etwas ändern, und ich wünschte immer noch, wir wären vor zehn Jahren unserem Herzen gefolgt.
Was war da vor zehn Jahren zwischen Im und Nick gewesen? Plötzlich fiel ihm auf, wie oft Nick in letzter Zeit, als Im und er sich wegen des Sommerhauses gestritten hatten, in der Nähe gewesen war, und dass Nick Geldprobleme gehabt hatte: Danke für die letzten Wochen, du hast mir das Leben gerettet.
Und wo war sie heute, und warum hatte sie ihm nicht erzählt, dass sie sich mit Nick traf? Der gesunde Menschenverstand sagte ihm, dass nicht wirklich etwas passiert sein konnte, wenn Im Rosie und Dodger bei sich hatte. Außerdem: Hatte Nick nicht gesagt: Jetzt
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