Das verborgene Kind
Weile hatte er geschwiegen.
»Bunny hatte erkannt, dass eines entscheidend für seine geistige Gesundheit war«, hatte er schließlich gemeint. »Er musste sein Leben akzeptieren. Nach und nach hat er gelernt, in der Gegenwart zu leben und etwas Positives herauszuziehen. Ich meine das nicht auf diese oberflächliche, hektische Art von ›Lebe jetzt, zahle später‹. Aber er hat das Jetzt angenommen, so schwierig es auch war, und nach seinen besten Kräften ein erfülltes Leben geführt.« Er hatte die Stirn gerunzelt. »Wir haben es ja miterlebt, oder? Das war nicht nur eine stoische, entschlossene, tapfere Fassade, die er gegenüber der Welt wahrte, sondern etwas Tiefgreifendes, das bis zum Kern dessen vordrang, was mit ihm geschah. Er hat es wirklich angenommen. Und aus diesem Kampf gegen Frustration und Selbstmitleid ist ihm eine erstaunliche innere Gelassenheit erwachsen. Es war eine Freude, mit ihm zusammen zu sein.«
Danach hatte sie Milo erlaubt, sie die Auffahrt hinunterzuschieben, durch das Dorf und die Straße hinauf – Pud rannte neben ihnen her –, und Milo machte diese Ausflüge zu einem solchen Vergnügen, dass sie sich allmählich darauf freute, obwohl sie immer noch das Gefühl hasste, hilflos und abhängig zu sein. Sie pflegten bei den furchterregenden, wunderschönen Raubvögeln anzuhalten, die vor dem Eulen- und Habichtzentrum von West Lynch Farm an Stangen gekettet waren; oder sie beobachten die hübschen Zwerghühner, die neben der Kapelle am Tor des Gutes herumliefen. Nach einem langen Marsch über die schmale, kurvenreiche Straße erreichten sie das Postamt in Allerford. Milo schob den Rollstuhl in den Teegarten, und June oder Steve servierten ihnen draußen Getränke und blieben auf einen Plausch.
Venetia seufzte zufrieden. Sie war sehr glücklich hier in High House , obwohl sie ein paar Grundregeln hatte klarstellen müssen. Sie brauchte ihre Lieblings-Soaps, The Archers im Radio und Emmerdale im Fernsehen, und die gute alte Zeitung Daily Mail für den Klatsch. Die Krankenschwester würde später kommen, um sich zu vergewissern, dass alles in Ordnung war; unterdessen hatte sie Glück, großes Glück, so gute Freunde zu haben, die bereit waren, sich um sie zu kümmern.
Pud kam schwanzwedelnd herein, und Venetia strich ihm mit der gesunden Hand ganz sanft über das seidige Fell. Er setzte sich neben ihren Stuhl, und sie spürte seine Wärme an ihrem Bein.
»Morgen«, erklärte sie ihm, »hast du zum Mittagessen einen ganz besonderen Gast. Wusstest du das? Im bringt den Welpen mit, und du musst ihm beibringen, wie man sich in Gesellschaft benimmt.«
Aber die Aussicht schien Pud nicht zu beeindrucken. Er wedelte ein- oder zweimal mit dem Schwanz, rollte sich zusammen und schlief ein.
30. Kapitel
A m Dienstag vor Ostern trafen sich Nick und Imogen am späten Vormittag im Hunter’s Inn.
»Alice und die Mädchen bleiben bis zum Wochenende in Rock«, hatte er ihr gesagt, »aber ich muss zurück nach London. Hör mal, ich könnte schnell die A39 rauffahren und dich irgendwo unterwegs treffen. Nur für eine Stunde oder so. Bitte, Im ...«
So hatte sie das Hunter’s Inn vorgeschlagen, und er war sofort darauf eingegangen. Anschließend würde er weiter nach Bossington fahren, in High House übernachten und am nächsten Morgen nach London weiterreisen. Sie war erleichtert, dass er einen öffentlichen Treffpunkt akzeptiert hatte, und versuchte sich einzureden, dass dies einfach ein lockeres Essen mit einem alten Freund sei. Jules hatte sie trotzdem nichts davon erzählt.
Während der Fahrt durch das Moor war sie nervös und gereizt. In den Hügeln grasten stämmige Exmoor-Ponys, von denen einige trächtig waren, und sie wurde von der Sehnsucht ergriffen, über die Hügel zu reiten, allein und frei, und den Wind im Gesicht und die Sonne auf dem Rücken zu spüren. Es war länger als ein Jahr her, viel länger, dass sie auf einem Pferd gesessen hatte. Rosie hatte alles verändert. Bald, gelobte sie sich, werde ich wieder einmal ausreiten. Sie fuhr langsam, drehte das Fenster herunter, um die Ponys besser sehen zu können, und hörte den übersprudelnden Gesang der Feldlerchen.
Nick wartete auf der Straße vor dem National-Trust-Laden auf Imogen. Sie parkte ihren Wagen hinter seinem, stieg aus und umarmte ihn kurz. Falls er enttäuscht darüber war, Rosie und den Welpen zu sehen, ließ er sich nichts davon anmerken. Ihre Begegnung verlief so viel ungezwungener, wenn Rosie nach etwas zu
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