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Das verborgene Lied: Roman (German Edition)

Das verborgene Lied: Roman (German Edition)

Titel: Das verborgene Lied: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Webb
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waren nur ein verschwommener Strom unverständlicher Laute. Sie ging nach rechts und einmal um den breiten Balkon herum, an dem ihr Schlafzimmer lag. Sie betrachtete die kunstvoll verzierten Kacheln und die Schnitzereien an den hölzernen Türen und spähte aus jedem möglichen Winkel in den Hof hinab und zum klaren, blauen Himmel hinauf. Ein so prächtiges Gebäude hatte sie noch nie gesehen, geschweige denn darin gewohnt. Schließlich nahm sie all ihren Mut zusammen und ging hinunter, doch als sie den Hof erreichte, sah sie, dass die Haustür geschlossen war. Sie vergewisserte sich, dass sie unbeobachtet war, ging hinüber und versuchte die Tür zu öffnen, doch die rührte sich nicht. Plötzlich erschien der junge Diener neben ihr und sprach sie an, wobei die Zähne in dem dunklen Gesicht strahlend weiß aufblitzten. Dimity wich zurück und stieß mit den Schultern an die Tür. Der Junge lächelte und sprach wieder, und diesmal klan gen die Worte gleichmäßiger, beinahe vertraut, ganz ähnlich wie Französisch, das sie Charles und Celeste manchmal mit einander sprechen hörte. Zwar konnte sie jetzt einzelne Wörter in seiner Rede hören, doch sie verstand immer noch nichts. Sie wich langsam vor ihm zurück, wirbelte dann herum und floh die Treppe hinauf.
    Stunden später döste sie auf ihrer niedrigen Matratze. Sie schaute an die Decke oder driftete in einen Traum ab, im mer wieder, in dem sie sich mitten in der endlosen, ausgetrockneten Landschaft verirrt hatte, die sie tags zuvor durchquert hatten. Sie spürte, wie der Wind sie in Sand verwandelte und davonwehte, Körnchen für Körnchen. Schritte vor der Tür und ein plötzliches Klopfen weckten sie, und Charles erschien in der Tür, ehe sie antworten konnte. Die Sonne hatte seinen Nasenrücken und die Wangen leicht verbrannt, und sein Haar war schweißnass und zerzaust. Dimity rappelte sich hastig auf, strich sich das Haar aus dem Gesicht und versuchte, zu sich zu kommen. Ihr war schwindelig, doch ob das davon kam, dass sie zu schnell aufgestanden war, oder von seinem überwältigenden Anblick, hätte sie nicht sagen können.
    »Mitzy! Warum bist du denn ganz allein?«
    »Die anderen besuchen Celestes Familie, aber ich konnte nicht mitgehen, weil ich ja nicht zur Familie gehöre«, antwortete sie und rieb sich den Schlaf aus den Augen. Charles runzelte die Stirn.
    »Sie hätte dich nicht einfach so allein zurücklassen sollen. Das ist nicht nett. Komm mit. Hast du Hunger? Ich wollte etwas essen und dann mit einem Muli zu den Merinidengräbern oberhalb der Stadt reiten. Möchtest du mitkommen?«
    »Ja, gerne«, sagte sie sofort und fragte sich erst dann, wie sie es mit Anstand bewerkstelligen sollte, in einem Filzrock auf einem Maultier zu reiten.
    Sie folgte Charles und musste beinahe rennen, um mitzuhalten, so schnell lief er die staubigen Straßen entlang, tiefer hinein in das Herz der Altstadt von Fès. Sie wanden sich durch die dicht gedrängten Menschenmengen, die sich wie langsam kriechende Schlangen in beide Richtungen voranschoben. Alle trugen Gewänder in matten Grau-, Sand- oder Brauntönen – Wüstenfarben, als seien Sand und Felsen und bröckelnder Putz in die Menschen eingesickert. Kleine Läden säumten die Straße, deren Waren meistens draußen an Haken hingen, sodass die Gasse noch schmaler wurde. Sie sah riesige metallene Teller und Gefäße, Stoffballen, dicke Bündel getrockneter Kräuter, Lederwaren aller Art, Laternen, Körbe, Maschinenteile und rätselhaftes Werkzeug.
    »Wir gehen nicht weit hinein. Ich weiß, wo wir ganz in der Nähe etwas essen können, und der Mann nebenan wird uns für den restlichen Tag zwei Mulis leihen«, rief Charles über die Schulter zurück. Ein plötzliches Flattern vieler Flügel ließ Dimity aufblicken, und eine kleine Schar weißer Tauben stob von einem Dach auf. Auch zwei große Frauen auf einem Balkon über der Straße beobachteten die Vögel. Ihre Haut war pechschwarz, und der Schmuck an ihren Hälsen und Ohren leuchtete umso feuriger vor dem dunklen Hintergrund. Dimity starrte die beiden an, bis sie mit einer Frau zusammenstieß, die ihr entgegenkam. Sie war von Kopf bis Fuß in Grau gehüllt und verschleiert, und Kinder hingen an ihrem weiten Gewand. Die Kleinen trugen seidene Kaftane in Indigo, Grüntönen und gedämpftem Rot, so zart und hübsch wie Schmetterlingsflügel. Die verschleierte Frau murmelte ein paar ärgerliche Worte, und die Kinder kicherten und lächelten Dimity im Vorbeigehen

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