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Das verborgene Lied: Roman (German Edition)

Das verborgene Lied: Roman (German Edition)

Titel: Das verborgene Lied: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Webb
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Straße. Eine hölzerne Schranke versperrte sie, aber das war nur ein einzelner Balken, unter dem sie leicht hindurchschlüpfen konnte. In der mächtigen Mauer dahinter erkannte sie zwei riesige, wunderschöne Tore. Darüber ragte der grüne Turm der Karaouine-Moschee auf, der in der Sonne funkelte und alles beobachtete. Dimity wartete ab, so lange sie konnte, weil sie fürchtete, ihre Beine könnten ihr nicht gehorchen, wenn sie zu laufen versuchte. Dann holte sie zittrig Atem, trat von dem erhöhten Brunnen herunter und rannte auf die Schranke zu. Sogleich hörte sie Tumult hinter sich, laute Stimmen und hastige Schritte. Dimity wimmerte vor Panik. Sie erreichte die Schranke und bückte sich, um darunter hindurchzuschlüpfen, doch sie verschätzte sich, stieß mit dem Kopf gegen den Balken und stürzte hintenüber. Sie versuchte aufzustehen, doch die Welt drehte sich um sie herum, weiße Fleckchen tanzten vor ihren Augen, und Übelkeit stieg ihr die Kehle hoch. Die Männer umzingelten sie und redeten alle auf einmal. Manche wedelten zornig mit den Händen, andere wirkten aufgeregt, einige sogar ängstlich. Sie konnte nur ihre Gesichter sehen, die sich über ihr schlossen wie ein bedrohlicher Gewitterhimmel. Ihre Stimmen vermischten sich miteinan der und brausten in ihren Ohren. Etwas tröpfelte von ihrer Stirn in ihre Augen, und als sie blinzelte, färbte die Welt sich rot. Sie musste wieder an die Kühe denken und den tot getrampelten Hund, und sie wusste, dass sie sterben würde, wenn sie nicht aufstand. Sie schaffte es auf Hände und Knie und begann auf die leere Straße hinter der Schranke zuzukrabbeln, doch sie war noch keinen Meter weit gekommen, als sie von Händen gepackt wurde.
    Dimity kreischte. Die Männer hielten sie an den Knöcheln und Handgelenken fest, packten sie an den Schultern, Oberarmen und Unterschenkeln. Sie wurde hochgehoben und weggetragen von dieser leeren Straße, die in ihren Augen Freiheit, Entkommen versprach. Sie wehrte sich nach Kräften, wand sich und zappelte, bis ihre Gelenke schmerz haft brannten und ihre Muskeln zu reißen drohten. Sie war tete darauf, Hände auf Mund und Kehle zu spüren, die sie zu ersticken versuchten, doch bald wurde ihr klar, dass die Männer sie nicht töten, sondern nur verschleppen wollten, sicher nur, um sie für ihre eigenen abscheulichen Zwecke zu benutzen. Als Sklavin, die sie nicht nur zur Arbeit zwingen, sondern auch zu ihrem Vergnügen, ihrer Befriedigung zugrunde richten konnten. Durch das verschmierte Blut, das ihr die Sicht verschleierte, sah sie den Himmel als vagen hellen Streifen über sich, und davor die grimassenhaften Gesichter ihrer Häscher. Sie schrie nach Charles, während fremde Finger sich brutal in ihre Haut bohrten und ihr Kopf vor Schmerz und Grauen dröhnte, und zuletzt rief sie sogar nach ihrer Mutter. Dann verschwamm die Welt in Dunkelheit, und sie konnte sich nicht mehr wehren.
    Als sie wach wurde, versuchte sie sich aufzurichten, doch als sie die Augen aufschlug, blendete die Sonne sie so unvorstellbar grell, dass es sich anfühlte, als fahre eine Klinge in ihren Kopf. Sie schloss die Augen wieder und ließ sich stöhnend zurücksinken.
    »Mitzy? Du bist wach! Wie fühlst du dich?« Eine kleine, weiche Hand schloss sich um ihre eigene, und mit ungeheuerlicher Erleichterung erkannte sie Delphine. Sie über legte, was geschehen war, wie sie zurück in das riad gelangt sein könnte und warum ihr Kopf so schrecklich wehtat, doch alles drehte sich um sie, und ihr Magen hob sich.
    »Ich muss mich übergeben«, stieß sie schwach hervor.
    »Hier. Ich habe eine Schüssel. Links von dir«, sagte Delphine, und Dimity spürte kaltes Porzellan an ihrem Kinn. Sie hob leicht die Schultern, wandte den Kopf und erbrach sich. »Das kommt wahrscheinlich von dem Schlag auf den Kopf. Ich bin vor ein paar Jahren von meinem Pony gefallen und habe mir schlimm den Kopf gestoßen, und davon musste ich mich auch übergeben«, sagte Delphine. »Hier – trink einen Schluck Wasser.« Dimity wurde ein Glas an die Lippen gehalten, und sie griff gierig danach, die Augen noch immer geschlossen. »Nur nippen – trink nicht zu viel, sonst kommt es gleich wieder heraus.«
    »Es ist so hell hier drin«, klagte sie mit krächzender Stimme. Sie hörte ein Rascheln, als Delphine aufstand, und dann das leise Rumpeln der Fensterläden. Dimity öffnete vor sichtig die Augen, und im gedämpften Licht sah sie Delphine, die sich wieder neben ihre Matratze kniete. Sie

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