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Das verborgene Lied: Roman (German Edition)

Das verborgene Lied: Roman (German Edition)

Titel: Das verborgene Lied: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Webb
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die beiden anderen Tassen in die andere Hand und ging vorsichtig zu Ilirs Zimmer.
    Auf halbem Weg die Treppe hinauf hörte er ihre Stimmen, leise, aber deutlich. Die Stufen knarrten nicht, nichts verriet ihn. Unwillkürlich wurde er langsamer. Er tat noch einen Schritt, dann erstarrte er und lauschte, obwohl er sich im selben Moment dafür verabscheute.
    »Ich habe ihm nichts gesagt, ich schwöre es«, sagte Hannah. Zachs Kiefer zuckte protestierend.
    »Ich weiß, ich weiß. Aber was, wenn die Polizei kommt, Hannah? Was, wenn Ed sie ruft, wie er gesagt hat?«
    »Dieses Schwein war so betrunken, dass er kaum noch stehen konnte. Der wird sich morgen nicht mal mehr erinnern, was heute Abend passiert ist oder was er alles gesagt hat.«
    »Aber wenn doch?«
    »Wenn er es doch tut … Tja. Wir müssen irgendwie bis nächsten Dienstag durchhalten. Nur noch drei Tage, Ilir, dann ist es geschafft! Du könntest verschwinden … Wenn die Polizei kommt, musst du dich eben verstecken. Ich werde behaupten, dass du nach der Schlägerei im Pub abgehauen bist. Ich sage denen, ich wüsste nicht, wo du bist.«
    »Du kannst großen Ärger dafür bekommen, Hannah. Würdest du das wirklich für mich tun?«
    »Natürlich. Jetzt sind wir schon so weit gekommen, oder?«
    »Bist du sicher?«
    »Ich bin sicher. Alles wird gut, du wirst schon sehen. Noch drei Tage, Ilir. Drei Tage! Das ist gar nichts.«
    »Tut mir leid wegen vorhin. Im Pub. Ich hätte nicht so wütend werden dürfen. Ich habe ihn provoziert.«
    »He – ich will keine Entschuldigung dafür hören, dass du Ed Lynch verprügelt hast. Jeder Schlag, den dieser Kerl einstecken muss, ist ein Dienst an der Allgemeinheit.« Zach konnte hören, dass Hannah lächelte.
    »Was wirst du Zach sagen, wenn es vorbei ist?«, fragte Ilir. Zach wollte nichts mehr hören, er stieg die letzten drei Stufen hoch und blieb in der Tür stehen. Zwei Augenpaare wurden blitzartig auf ihn gerichtet.
    »Ja, was wirst du mir sagen?«, fragte er hölzern. Auf ein mal fühlte er sich erschöpft und durchgefroren. An Ilirs Un terkiefer zuckte ein Muskel, und das Schweigen im Raum war durchdringend. Er sah Hannah leicht in sich zusam mensinken, als ergebe sie sich in ein unvermeidliches Schick sal. »Was passiert nächsten Dienstag?«, fragte er.
    »Zach«, sagte sie, ohne etwas hinzuzufügen. Nur seinen Namen, beladen mit der ganzen misslichen Last unausge sprochener Dinge. Und damit erkannte Zach, dass es unmög lich war – dass sie nie wirklich zusammen gewesen waren und er sie im Grunde kaum kannte. Mit den übertrieben achtsamen Bewegungen eines Menschen, dem die Füße nicht recht gehorchen wollen, ging er die Treppe wieder hinunter und verließ wortlos das Haus.
    Dimity schlief unruhig, neben sich Charles’ Bild von ihr in der Wüste. Sie hatte sich gewünscht, dass dieses Bild in ihre Träume einzog, hatte sich vor ihrem inneren Auge als diese junge Frau sehen wollen, diese Schönheit, die Charles ge schaffen hatte. Doch es kamen ganz andere, tief sitzende Erinnerungen, keine Visionen verlorener Schönheit. Der berauschende Druck von Charles’ Körper, seine Lippen an ihren, sein Geschmack und das Gefühl seiner Arme, die sie umschlangen, in den kostbaren Augenblicken, ehe er sie von sich stieß. Der Schmerz, der in ihrem Kopf aufflammte, als sie gegen Celestes Frisiertisch schlug, und wie ihr Gesicht brannte, als sei Celestes Ohrfeige giftig gewesen wie der Stich eines Skorpions. Diesen Wahrheiten war sie ausgeliefert, während sie schlief und ein lang gezogener Refrain immer wieder durch ihre Träume hallte, als wollte er sie verhöhnen. Allahu akbar! Allahu akbar!
    Der muezzin ließ seinen Ruf hoch über ihrem Kopf ertö nen. Sie schaute zu dem schwindelerregend hohen Minarett hinauf, das ganz nah und gleißend grün vor dem blendenden Himmel aufragte. Schweiß lief ihr übers Gesicht und brannte in ihren Augen, die trockene Luft pfiff in ihrer Lunge. Sie war lange gerannt. Nun blinzelte sie heftig, setzte sich auf eine staubige Eingangsstufe, lehnte sich an das uralte Holz der Haustür und wartete darauf, wieder zu Atem zu kommen. Bei der Erinnerung an Celestes Wut wurde ihr übel und ein wenig schwindelig. Die blitzenden blauen Augen der Frau, die raschen, gnadenlosen Handgriffe, mit denen sie an dem Kopftuch und der Kette gezerrt hatte. Sie hatte gehört, wie Dimity ihr Ehegelöbnis übte. Für ihre Hochzeit mit Charles. Es war doch nur ein Spiel – das würde sie behaupten müssen. Aber das

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