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Das verborgene Lied: Roman (German Edition)

Das verborgene Lied: Roman (German Edition)

Titel: Das verborgene Lied: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Webb
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Pastinake, wenn man sie ver sehentlich aß. Sie wusch die Pflanze ab und legte sie sorgsam in ihre Schlinge, abseits von den anderen. Sie wurde abgesondert, geschmäht, man durfte ihr nicht trauen. Genau wie es Dimity stets ergangen war. Dimity atmete langsam ein und aus. Ihr Geist war ganz leer. Sie drehte sich um und zog an einem weiteren Stängel.
    Stunden später war ihr Tuch so schwer, dass es in ihre Schulter einschnitt, und Dimity lief immer noch. Ihre Beine kamen ihr zu lang vor, und obwohl ihr alles, was sie sah, vertraut war, hatte sie dennoch das Gefühl, dass sie nichts davon kannte, dass sie nicht hierhergehörte. Am Strand stieß sie sich immer wieder die Zehen und Schienbeine an, wenn sie über Steine stolperte, und sie konnte sich nicht erklären, warum. Als sie ein Stück weiter den Strand entlang schließlich ganz stehen blieb, erkannte sie, dass es Nacht gewor den war. Sie konnte nicht sehen, wo sie hintrat, weil der Himmel so schwarz war wie ihr Geist, ohne den kleinsten Schimmer Mondlicht. Ob diese Dunkelheit natürlich war oder daher rührte, dass alles Licht auf der ganzen Welt erloschen war, hätte sie nicht sagen können. Sie ließ sich nieder, wo sie gestanden hatte, und spürte die kühlen, feuchten Steine, die sich durch ihre Kleidung drückten. Dort blieb sie im Dunkeln sitzen, ohne die Wellen zu hören, weil ihr Weinen sie übertönte. Krampfhaftes Schluchzen schüttelte sie. Und zugleich hatte sie das Gefühl zu fallen, als sei sie in diesen bodenlosen Abgrund gestürzt und würde nie wieder an die Oberfläche gelangen.
    Im kalten Morgenlicht wurde sie von der Flut geweckt, die mit eisigen kleinen Wellen an ihren Füßen leckte. Dimity kratzte sich im Gesicht, das vor Salz juckte, und stand zittrig auf. Sie begann wieder zu laufen, ohne zu wissen, wohin – sie ließ sich einfach von ihren Füßen tragen, bis diese sie schließlich auf die kleine Erhebung an der Abzweigung nach Littlecombe führten. Dort blieb sie stehen und starrte auf den ebenmäßigen, kompakten Umriss hinab. Das Automobil war nirgends zu sehen, auch im Garten war niemand, alle Fensterläden waren geschlossen. Charles war da. Hier hatte sie ihn zum ersten Mal gesehen, hatte er sie zum ers ten Mal gezeichnet. Hier schlief er, aß er. Hier musste er sein. Dimity fühlte sich hohl, substanzlos, und eine plötzliche Leichtigkeit breitete sich in ihrem Kopf aus, Freude, ge dämpft von etwas anderem. Dieses andere war namenlos und düster, und es war aus der Tiefe des Abgrunds emporgestiegen, um bei ihr zu sein. Sie taumelte auf zerschundenen Füßen weiter zur Küchentür.
    Sie klopfte laut und überzeugt. Charles würde die Tür öffnen und sie auffangen, die Arme um ihre Taille schlin gen wie in der Gasse in Fes, und sie würde die feste Berührung seiner Lippen und seinen harten Körper spüren, und sie würde ihn schmecken und sich an ihn schmiegen, und alles würde wieder gut sein. Niemand außer ihnen würde existieren. Als Celeste die Tür öffnete, mit gerunzelter Stirn und einem Handtuch, mit dem sie sich die Hände abtrocknete, blinzelte Dimity verwirrt, und Celestes Gesicht wurde noch finsterer.
    »Dimity. Warum bist du hier? Warum drängst du dich so auf?«, fragte sie. Dimity öffnete den Mund, doch es waren keine Worte darin. Nur die Luft zischte durch ihre Kehle ein und aus. »Glaubst du ernsthaft, er würde seine Töchter verlassen, um mit dir zusammen zu sein? Sag, glaubst du das?«
    Ihre Stimme war kalt und zornig. Dimity schwieg. »Falls du gehofft hast, ihn zu sehen – er ist nicht da. Er ist mit den Mädchen nach Swanage gefahren. Sie wollen auf den Eseln am Strand reiten, einkaufen und sich in den Spielhallen amü sieren.«
    »Ich wollte nur …«, begann Dimity, doch sie wusste nicht, was sie eigentlich gewollt hatte. Die Frau vor ihr war die Summe all dessen, was sie niemals haben würde. Dimity betrachtete sie, und in einem hinteren Winkel ihres Geistes hasste sie Celeste. »Die habe ich für Sie gesammelt. Für euch alle«, sagte sie und legte eine Hand auf die Pflanzen in ihrem Tuch.
    »Nicht nötig.« Celeste tippte mit dem Zeh einen Korb voll frisch gepflücktem Grün an, der auf der Schwelle stand. »Delphine war heute Morgen schon früh draußen. Ohne dich. Sie hat mir diese Kräuter gebracht, für meine Suppe zum Mittagessen.«
    »Oh.« Dimity hatte Mühe, den Blick auf irgendetwas Be stimmtes zu richten und klar zu denken. Sie hatte ein schril les Summen in den Ohren, und Celestes Stimme

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