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Das verborgene Lied: Roman (German Edition)

Das verborgene Lied: Roman (German Edition)

Titel: Das verborgene Lied: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Webb
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versetzte ihre Eingeweide in Aufruhr, und einen Moment lang fürchtete sie, sie könnte sich in die Hose machen. Etwas in ihr versuchte sich freizukämpfen, aber wenn sie es herausließ, das spürte sie, dann würde es sie umbringen. Also kämpfte sie dagegen an, während sie den anderen ins Haus folgte, stehen blieb, abwartete, zuschaute.
    Niemand redete mit ihr. Es sprach überhaupt niemand ein Wort. Niemand schien sie zu bemerken, bis sie Celeste eine Tasse Tee hinstellte und damit ihren starren, leblosen Blick auf sich zog.
    »Ich kenne dich«, sagte Celeste und runzelte leicht die Stirn. »Du bist ein Kuckuck … Ein Kuckuckskind …« Sie strich Dimity über die Wange, und obwohl Dimity bei ihren Worten das Blut in den Adern gefror, lächelte Celeste plötzlich, nur ein wenig, nur ganz kurz. Dann glitten ihre Augen haltlos durch den Raum, als könnte sie sich nicht erinnern, wo sie war und warum sie sich an diesem Ort befand. Ihre Arme zuckten, die Schultern hoben sich. Dimity schluckte, und als sie sich umblickte, sah sie Charles hinter sich stehen. Er zog sie beiseite.
    »Ich habe ihr von Élodie erzählt, aber ich weiß nicht …« Er hielt inne, und qualvolle Falten zerfurchten sein Gesicht. »Ich weiß nicht, ob sie begreift, was ich ihr gesagt habe. Ich glaube, ich werde es ihr noch einmal sagen müssen.« Das Grauen angesichts dieser Aufgabe war ihm deutlich anzuhö ren. Hinter ihm sah Dimity das einzig Leuchtende im Raum – Delphines Augen, glasig und glänzend wie polierte Steine.
    Charles kniete sich vor Celeste, um es ihr zu sagen, und ergriff mit beiden Händen ihre erschlafften Finger. Die Geste verriet sein eigenes Bedürfnis nach Trost. Dimity sah es und sehnte sich danach, ihn im Arm zu halten. In der kurzen Pause, ehe er zu sprechen begann, standen Dimity und Delphine so still wie Statuen da.
    »Celeste, mein Liebling.« Er hob ihre Hand und drückte sie an seine Lippen, als müsste er die Worte so lange noch nicht herauslassen. »Weißt du noch, was ich dir gestern Abend gesagt habe?«
    »Gestern Abend?«, murmelte Celeste. Der Hauch eines Lächelns deutete eine Entschuldigung an, und sie schüttelte den Kopf. »Du hast mir gesagt – dass es mir bald besser gehen wird.«
    »Ja. Und ich habe dir – etwas über Élodie gesagt. Weißt du das noch?« Seine Stimme zitterte, und Celestes Lächeln erlosch. Ihr Blick huschte durch den Raum.
    »Élodie? Nein, ich … Wo ist sie? Wo ist Élodie?«, fragte sie.
    »Wir haben sie verloren, mein Liebling.« Celeste starrte ihn an, und Angst trat in ihre Augen.
    »Was soll das heißen? Où est ma petite fille? Élodie!«, rief sie plötzlich laut über Charles’ Kopf hinweg. Er packte ihre Hand so fest, dass seine Fingerknöchel weiß wurden. Dimity fürchtete, er könnte ihr die Knochen brechen.
    »Wir haben sie verloren, Celeste. Du und Élodie … Ihr habt etwas Giftiges gegessen. Ihr beide. Wir haben Élodie verloren, mein Liebling. Sie ist tot«, sagte Charles, und Tränen liefen ihm übers Gesicht. Als sie das sah, hielt Celeste inne. Sie hörte auf, sich nach Élodie umzuschauen und verzweifelt den Kopf zu schütteln. Sie beobachtete, wie Charles weinte, und Begreifen malte sich auf ihrem Gesicht, der Schat ten einer ungeheuerlichen, unfassbaren Trauer.
    »Nein«, wisperte sie. Delphine, die neben Dimity stand, stieß ein leises Wimmern aus. Sie beobachtete ihre Mutter mit einem so gepeinigten, zärtlichen Blick, dass es Dimity schien, als sei Delphines Herz weit aufgerissen und aller Augen preisgegeben.
    »Wir haben sie verloren«, wiederholte Charles und senkte den Kopf – beinahe eine Geste der Unterwerfung, als woll te er jede Strafe auf sich nehmen, die sie für angemessen hielt.
    »Nein, nein, nein! «, schrie Celeste. Das Wort steigerte sich zu einem Heulen, das die Luft in Eis verwandelte. Schluch zend lief Delphine zu ihrer Mutter hinüber, sank neben ihr aufs Sofa und schlang die Arme um sie. Doch Celeste wehrte sich gegen sie, zerrte an Delphines Armen und versuchte, sie von sich zu stoßen. »Geh weg von mir! Lass mich los!«, sagte Celeste.
    »Mummy«, stöhnte Delphine flehentlich. »Ich wollte das nicht.« Doch mit einer letzten Anstrengung stieß Celeste sie so energisch von sich weg, dass Delphine vom Sofa auf den Boden fiel. Celeste richtete sich auf, als wollte sie aufstehen, doch sie hatte nicht die Kraft dazu.
    »Élodie! Élodie! « Immer wieder rief sie den Namen. Es klang wie ein Flehen, ein Befehl, ein Wunsch. Und auf dem

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