Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das verborgene Lied: Roman (German Edition)

Das verborgene Lied: Roman (German Edition)

Titel: Das verborgene Lied: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Webb
Vom Netzwerk:
über seine Familie. Bekim lag auf dem Sofa und schlief tief und fest unter einer mottenzer fressenen Wolldecke. Rozafa saß direkt neben ihm, eine Hand auf seiner Schulter. Ihr Kopf war zur Seite gerollt, und sie schlief ebenfalls. Ilir hatte sich schützend über die beiden gebeugt, als wollte er niemanden in ihre Nähe und die beiden auch nicht mehr loslassen, nun, da er sie endlich wie derhatte. Zach fragte sich, wie lange Ilir schon in Dorset sein mochte – wie lange er und seine Familie sich nicht mehr gesehen hatten. Dimity war immer noch oben in dem klei nen Zimmer voller Bilder. Zach hatte ihr Tee gebracht, doch die alte Frau war still und stumm und wollte nicht herunterkommen. Er war beunruhigt über ihren schnellen, flachen Atem, als nippte sie nur an der Luft, ohne wirklich genug davon in ihre Lungen zu bekommen.
    »Erzähl mir, wie es war, als du ihn gesehen hast. Wie er aussah. Was damals passiert ist«, bat Zach. Hannah seufzte und stand auf.
    »Dafür brauchen wir etwas Stärkeres als Tee«, brummte sie und öffnete eine Küchenschranktür nach der anderen, bis sie eine uralte, klebrige Flasche Cognac fand. Sie schenkte eine großzügige Portion in zwei Becher, brachte sie zum Tisch und schob Zach einen davon zu. »Prost.« Hannah kippte ihren Cognac in einem Zug herunter, sog dann zischend die Luft ein und schauderte. »Mitzy kam eines Abends spät zu mir auf den Hof. Das war im Sommer, und es war gerade erst dunkel geworden, also muss es etwa zehn, halb elf gewesen sein. Sie war verwirrt, panisch. Erst hat sie nach meiner Großmutter gefragt und wusste anscheinend nicht mehr, wer ich bin, bis ich es ihr erklärt habe. Mir war sofort klar, dass irgendetwas nicht stimmte. Sie hat vorher nie bei uns angeklopft, seit – na ja, solange ich denken kann. Ich sollte sofort mitkommen, aber sie wollte mir nicht sagen, warum. Hat mich praktisch aus dem Haus gezerrt. ›Ich kann das nicht allein‹, mehr war aus ihr nicht heraus zubringen. Also bin ich mitgegangen, und sie hat mich hierhergeführt, hinauf in dieses Zimmer, und da war er.« Sie seufzte schwer.
    »Tot?«
    »Ja. Er war tot«, sagte sie. »Mitzy hat gesagt, wir müssten ihn verschwinden lassen. Den Leichnam verstecken. Ich habe sie gefragt, warum – warum wir nicht einfach einen Bestatter rufen könnten. Aber sie war überzeugt davon, dass die Polizei kommen würde, wenn irgendjemand von der Leiche erfuhr, und höchstwahrscheinlich hatte sie recht. Un geklärte Todesursache und so weiter, und er hätte ja nicht einmal dort sein sollen. Es hätte ihn gar nicht geben dürfen. Das habe ich erst allmählich begriffen, als sie mir erklärt hat, wer er war.«
    »Aber – dann muss er ja uralt geworden sein«, bemerkte Zach.
    »Fast hundert. Aber er hatte ja auch ein sehr – behütetes Leben. Jedenfalls den längsten Teil davon.«
    »Und du hattest vorher keine Ahnung, dass noch jemand hier bei ihr gelebt hat? In all den Jahren hast du nie Verdacht geschöpft?«
    »Nie. Nicht so verwunderlich, wenn man bedenkt, wie abgeschieden ihr Haus liegt. Ich bin die einzige Nachbarin, nur vom Hof aus kann man es direkt sehen, und ich habe es nicht bewusst beobachtet. Außerdem hat er das Zimmer wohl nie verlassen. Ich kann an einer Hand abzählen, wie oft ich vor jener Nacht hier im Haus war, und oben war ich nie, nicht ein einziges Mal. Wie hätte irgendjemand etwas merken sollen?«
    »Wusstest du … Wusstest du, wer er ist?«
    »Anfangs nicht, nein. Aber als Dimity es mir erzählt hat … Natürlich hatte ich schon von ihm gehört. Meine Großmut ter hat ständig von ihm gesprochen. Und dann habe ich die Bilder gesehen und wusste, dass Dimity die Wahrheit gesagt hat. Es konnte niemand anders sein.«
    »Aber wie zum Teufel ist er überhaupt hierhergekom men? Er wurde doch in Nordfrankreich beerdigt – man hat seinen Leichnam gefunden, ihn offiziell identifiziert, und er wurde dort begraben.«
    »Sie haben einen Leichnam gefunden. Einen Toten identi fiziert und begraben. Ich weiß nicht, wie gut du über die Schlacht von Dünkirchen Bescheid weißt …«
    »Ich habe Filme darüber gesehen. Dokumentationen.«
    »Es war das reinste Chaos. Tausende von Männern haben am Strand darauf gewartet, evakuiert zu werden, und Hunderte kleiner Boote sind von England aus zu Hilfe gekommen. Fischerboote, Jachten, Ausflugsboote, Lastkähne. Charles hat es auf eines dieser kleinen Boote geschafft. So ist er an die englische Küste gelangt und dann – abgetaucht. Hat sich

Weitere Kostenlose Bücher