Das verborgene Lied: Roman (German Edition)
haupt verkäuflich zu machen. Ohne dass Zweifel an der Echt heit aufkamen.« Zach schüttelte verständnislos den Kopf, und Hannah rutschte unruhig auf ihrem Stuhl herum. Zum allerersten Mal, seit er sie kannte, sah sie schuldbewusst aus. Dann seufzte sie unvermittelt. »Eine ganze Menge davon konnten wir niemandem zeigen, weil es sich um Porträts von Dimity handelt, aber von einer offensichtlich älteren Dimity, was gar nicht sein kann, weil er ja vorgeblich längst tot war. Und viele andere sind Kriegsszenen, die durfte also auch niemand sehen. Blieben nur ein paar Bilder von Dennis und einige wenige von Dimity, als sie noch jünger war, aber … Er hatte sie nicht datiert. Keines der Bilder, die er nach seiner Rückkehr aus dem Krieg gezeichnet hat, ist datiert.«
»Warum nicht?«
»Weil er vom aktuellen Datum keine Ahnung mehr hatte, nehme ich an.«
»Du meine Güte. Und ihr …«
»Ich habe das Datum draufgeschrieben«, sagte sie. Zach holte tief Luft.
»Ich wusste es! Ich wusste doch, dass die Datierung nicht stimmt!«
»Du hattest recht«, sagte sie ernst, und Zachs Aufregung legte sich. Sie schwiegen eine Minute lang.
»Du kannst seine Handschrift gut nachmachen«, bemerkte Zach, der nicht recht wusste, was er davon halten sollte. »Da für hast du wirklich Talent.«
»Ja. Ich weiß.«
Wieder schwiegen sie eine Weile, in ihre eigenen Gedanken verloren. Draußen hatte der Wind aufgefrischt, und es begann zu regnen. Die Geräusche vermittelten Zach ein Gefühl der Einsamkeit, und er verspürte den Drang, Hannah an sich zu ziehen und sie zu wärmen. Aber die Schatten in den Ecken waren zu tief, zu spannend. Jahre von Lügen und Geheimnissen, so lange in ihrem Versteck belassen, dass sie hart geworden waren, wie versteinert. Neben ihm hob Hannah die Arme und zog den Haargummi von ihrem Pferdeschwanz, und der vertraute Duft ihres Haars versetzte ihm einen scharfen, melancholischen Stich.
»Dazu hattest du kein Recht«, sagte er leise. Hannah sah ihn an, und ihr Blick wurde härter.
»Ich denke doch.«
»Diese Bilder gehören dir nicht. Sie gehören nicht einmal Dimity! Sie war nicht mit ihm verheiratet, sie hat kein Kind von ihm bekommen. Jemanden sechzig Jahre lang gefangen zu halten macht einen nicht zu dessen Ehefrau und Erbin …«
»Gefangen halten? Er war nie ein Gefangener! Er hätte jederzeit gehen können, wenn er das gewollt hätte!«
»Dann findest du es also in Ordnung, dass sie die ganze Welt in dem Glauben gelassen hat, er sei tot? Auch seine Familie?«
Hannah schürzte die Lippen und antwortete knapp: »Wenn er es so wollte, ja.« Zach schüttelte den Kopf, und Hannah schien zu warten – auf seinen nächsten Angriff, sein nächstes Argument.
»Diese Bilder gehören Charles Aubreys Erben. Seinem nächsten Verwandten«, sagte er, und zu seiner Überraschung lächelte Hannah.
»Ja, das weiß ich. Und den hast du vor dir.«
» Wie bitte?«
Dimity konnte sie unten reden hören, aber die Worte nicht verstehen, also gab sie es auf und ließ ihre Stimmen über sich hinwegstreichen wie die verschwommenen Laute von Wind und Regen draußen. All das war nicht mehr wichtig. Das Zimmer war leer. Charles war fort. Sie konnte denen nicht erklären, dass die Tür geschlossen geblieben war, damit ihr Herz weiterschlug. Solange sie nicht sah, dass er fort war, konnte sie träumen, er sei noch da. Manche Geräusche des Hauses hörten sich an wie seine Schritte, und wenn die Brise seine Papiere bewegte, klang es, als arbeite er da oben. Sie hatte es schließlich glauben können, in den letzten paar Jahren. Sie hatte sich gefühlt, als sei er nicht verstorben, als gingen die langen, glücklichen Jahre, in denen sie sich um ihn gekümmert hatte, immer noch weiter. Die plötzliche Leere des Hauses war so kalt und tief wie der Tod. Sie konnte kaum genug Kraft zum Atmen finden. Die Eiseskälte seiner Abwesenheit legte sich immer dichter um sie und sog alle Wärme aus ihrem Blut, ihren Knochen. Ihre Glieder fühlten sich schwer an, jeder Atemzug war mühsam. Ihr Herz war so weit und hungrig wie das Meer und leer wie eine Höhle. Das Leben war nur eine Last, wenn das Zimmer oben nun unbewohnt war. Die lange Debatte der beiden jungen Leute unten brachte zumindest die anderen Stimmen von The Watch zum Schweigen. Die Lebenden waren lauter als die Toten. Doch da war ein neues Gesicht in den Schatten, nun doch gekommen, sie zu besuchen, sie heimzusuchen. Ein stummer Vorwurf aus großen Augen voll Kummer und
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