Das verborgene Lied: Roman (German Edition)
Anwendung in Magenmitteln – aber nie an einem Bach pflücken, der durch Weiden lief, weil die Pflanzen die Parasiten des Viehs aufnahmen und weitergaben. Wie man wilde Pas tinaken von Wasserschierling unterscheiden konnte, und dass sie Letzteren nur mit Handschuhen ausgraben durfte – die Pflanzen wurden dann vorsichtig klein geraspelt, mit Talg und Rübensirup vermischt und zu klebrigen Kügelchen gerollt, und diese Rattenköder verkauften sich das ganze Jahr über. Eimerweise, wenn jemand eine richtige Rattenplage hatte, wie damals Mr. Brock von der Southern Farm. Er kaufte zwei Eimer voll auf einmal – fast ihren gesamten Vorrat. Dimity nahm einen, Valentina den anderen, und als sie von The Watch ins Tal hinunterrutschten und schlitterten, schnitten die dünnen Henkel in ihre Hand ein, und die schweren Eimer schlugen ihnen gegen die Schienbeine. Sie haben ein Problem, wie?, fragte Valentina den Mann, als sie den Hof erreichten. Mit einem Gesicht, als sei ihm übel, winkte er sie zu sich herüber. Dann hob er ein Ende eines großen Futtertrogs an, um ihnen das Gewimmel brauner Leiber darunter zu zeigen, die wuselnd und zappelnd dem Licht zu entkommen versuchten. Haben mir neulich ein Lamm bis auf die Knochen abgenagt, ehe ich es abends gefunden habe. Dimity spürte ein scheußliches Kribbeln am ganzen Körper, als sei ihre Haut mit Ameisen bedeckt. Der Hofhund, ein nervöser Terrier, raste wie verrückt herum, jagte die Ratten, schnappte um sich. Christopher Brock, der Sohn des Bauern, erschlug eine mit einem Knüppel, während sie die Kügelchen überall auf dem Hof verteilten. Dimity hörte die kleinen Knochen brechen.
Valentina hielt Hühner und ein Schwein hin ter dem Haus, aber manchmal wollte sie auch Möwen eier oder Enteneier. Es galt Anmachholz zu sammeln und Ginsterwurzeln auszugraben und zu trocknen – die waren der beste Brennstoff für den Herd, denn sie verbrannten sauber und sehr heiß. Valentina und Dimity suchten Pilze und Holzäpfel und nahmen auch einmal ein Kaninchen aus anderer Leute Schlinge mit. Die Tiere zu stehlen fand Dimity schrecklich. Ihre Finger zitterten dabei, und oft schnitt sie sich an dem scharfen Draht. Die Schlingen waren meistens schon mit Blut beschmiert, und sie fragte sich, ob es in ihre Adern gelangen und sie halb in ein Kaninchen verwandeln würde. Valentina versetzte ihr eine Ohrfeige, weil sie nicht besser aufgepasst hatte, stopfte das Kaninchen in einen Beutel und stapfte weiter. Dimity hoffte, dass ihre Mutter bei diesen Ausflügen die Zeit mit ihr genoss, dass es ihr Freude bereitete, ihre Tochter anzuleiten und ihr Wissen weiterzugeben. Doch sobald Dimity alles wusste, was ihre Mutter ihr beibringen konnte, wurde sie allein hinausgeschickt. Anscheinend hatte ihre Mutter sie doch nur ausgebildet, um nicht mehr selbst gehen zu müssen.
Schon sehr früh lernte sie zu erkennen, ob ihre Mutter etwas tatsächlich sofort haben oder Dimity nur eine Weile wegschicken wollte. Wenn Letzteres der Fall war, streifte sie weit umher, in Gedanken und Geschichten vertieft. Von The Watch aus Richtung Westen lag ein langer, breiter Strand, der hauptsächlich aus Kieseln bestand, aber bei Ebbe kam auch Sand zum Vorschein. Dort verbrachte sie viele Stunden damit, in Gezeitentümpel zu starren, vorgeblich, um ein paar Garnelen für die Suppe zu fangen, Miesmuscheln zu sammeln oder Irländisches Moos – Valentina verwendete die bläulich-roten Algen für Gelees oder Dickmilchpudding. Dimity trug immer und überall einen Stoffbeutel oder Korb mit sich herum, um ihre Funde zu verstauen.
Eines Tages riss eine scharfe Felskante ein Loch in die Hanfsohle ihrer Schuhe. Sie ließ den Schuh auf der Wasseroberfläche eines Gezeitentümpels treiben und sah zu, wie er schaukelte und schwankte. Dann probierte sie aus, mit wie vielen Muschelschalen sie ihn beladen konnte, bis er zu sinken begann. Auf einmal hörte sie Stimmen über sich und blickte in dem Moment auf, als der erste Stein in den Gezeitentümpel platschte und ihr kaltes Wasser ins Gesicht spritzte. Kinder aus dem Dorf, oben auf der Klippe. Die meisten waren Jungen, aber die Crane-Schwestern mit ihren unheimlichen, vollkommen gleichen Gesichtern wa ren auch dabei und grinsten vor Aufregung. Dem Stein folgte ein Stock, der sie am Arm traf. Hastig rappelte Dimity sich auf und war Augenblicke später über die Felsen zum Fuß der Klippe gelaufen, wo sie von oben nicht mehr gesehen werden konnte. Sie hörte die Kinder Beschimpfungen
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