Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das verborgene Lied: Roman (German Edition)

Das verborgene Lied: Roman (German Edition)

Titel: Das verborgene Lied: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Webb
Vom Netzwerk:
dann gleich, ja? Aber die Nadeln, möchten Sie die vielleicht jetzt haben? Miss Hatcher?« Er spähte in das dämmrige Haus und war sicher, dass sich dort drin etwas bewegte. In einem letzten, verzweifelten Versuch holte er das Burlington Magazine aus seiner Tasche, schlug es auf und drückte die Seite mit der Zeichnung von Dimity und Delphine an die Scheibe. »Ich wollte Sie nach diesem Bild fragen, Dimity. Ob Sie sich erinnern können, wann er es gezeichnet hat und was Sie gerade gespielt haben? Und was Aubreys Tochter Delphine für ein Mädchen war?« Er dach te an die Zeichnung von Delphine, die in seiner Galerie hing, und die vielen langen Stunden, die er damit verbracht hatte, sie zu betrachten. Wieder breitete sich in ihm das erregende Gefühl aus, dass hier jemand war, der dieses Abbild leibhaftig gekannt hatte. Jemand, der Delphines Haut berührt, ihre Hand gehalten hatte. Doch es kam kein Laut von drinnen, und er sah auch keine Bewegung mehr. Zach gab sich geschlagen, ließ die Hände sinken und trat vom Fenster zurück. In der Scheibe war er nur mehr ein schwarzer Umriss, und hinter ihm leuchteten Meer und Himmel.
    Er ging an dem Häuschen vorbei und hinab zur Klippe, wo er sich im Schneidersitz niederließ und mit leicht zusammengekniffenen Augen aufs Meer hinausschaute. Die Brise, die über das Wasser strich, kräuselte hier und da die glatte Oberfläche, die abwechselnd matt schimmerte und dann plötzlich in der Sonne glitzerte. Sie brachte große, sanfte Wellen hervor, die aus der Tiefe nach oben zu steigen schienen, und lange Spuren – die geisterhaften Reste des Kielwassers von Booten, die selbst schon außer Sicht waren, oder Anzeichen einer Strömung, die sich unsichtbar vom Land hinauszog. Sich ihre Kraft vorzustellen, den unentrinnbaren Sog dieses Wassers, ließ Zach schaudern. In ihm stieg schwach der Drang auf, die überwältigende Szenerie zu malen, doch dann wurde seine Aufmerksamkeit von etwas Hellem angezogen, einer plötzlichen Bewegung. Hannah Brock war am Strand unter ihm erschienen. Er konnte nicht erkennen, wie sie dorthin gekommen war – an Dimity Hatchers Häuschen war sie ganz sicher nicht vorbeigegangen, und es schien keinen anderen Weg hinab zu der kleinen Bucht zu gehen. Doch da war sie, und nun zog sie ihre Jeans und das T-Shirt aus und ging barfuß in einem ausgeblichenen roten Bikini zum Wasser. Ihr Haar, endlich einmal ohne das grüne Kopftuch, flatterte im Wind, und rasch stand sie bis zu den Knöcheln im Wasser. Zach sah, wie sie die Finger spreizte und dann zu Fäusten ballte. Das Wasser musste eiskalt sein. Er lächelte. Hannah stemmte die Fäuste in die schmalen Hüften und starrte aufs Meer hinaus, wie er selbst es gerade eben auch noch getan hatte. Ein so langer, flacher Horizont zog immer den Blick auf sich, er war un widerstehlich. Zach duckte sich ein wenig und rutschte rück wärts so weit vom Rand der Klippe weg, dass er sie gerade noch sehen konnte. Noch einmal dabei ertappt zu werden, dass er sie beobachtete, wäre wirklich das Ende, ermahnte er sich ernst. Der Gedanke überraschte ihn selbst – das Ende wovon?
    Schließlich wandte Hannah sich nach rechts und watete zum Ende der kleinen Bucht. Ihre Haut war blass, aber nicht so gespenstisch weiß wie die, die sich unter Zachs eigener Kleidung verbarg. Ihre schlanke Gestalt hatte beinahe etwas Asketisches, nichts Überflüssiges war daran. Kleine Brüste und dünne Arme, und nur die schmale Taille ließ sie nicht knabenhaft erscheinen. Dennoch wirkte sie keinesfalls fragil. Im Gegenteil: Jeder Zoll ihres Körpers strahlte lebendige Spannung aus. Vielleicht sogar Kampfbereitschaft. Er erinnerte sich an ihren streitbaren, herausfordernden Blick bei ihrer Unterhaltung im Pub. Was wollen Sie von ihr? Hannah kletterte auf die Felsen am Ende des Strandes und ging auf dieser kleinen Landzunge entlang, die sich ins Meer streckte. Als sie scheinbar das Ende erreichte, watete sie sogar noch etwa fünfzehn Meter weiter durch kniehohes Wasser. Fasziniert schaute Zach hinunter. Da musste ein flaches Riff unter dem Wasser sein, breit und eben genug, um darauf zu laufen, obwohl man nicht genau sehen konnte, wo man hintrat. Am Ende blieb sie eine Sekunde lang stehen, spannte sich und tauchte dann mit einer geschmeidigen Bewegung ins Wasser.
    Sie kam lange nicht wieder hoch. Zach hatte schon Horrorvorstellungen von unsichtbaren Felsen und Brandungssog, aber natürlich kannte sie diesen Strand und das Wasser viel besser als er.

Weitere Kostenlose Bücher