Das verborgene Lied: Roman (German Edition)
bösartig wirkenden Zacken und Rädern und allerlei anderen beweglichen Teilen. Es war rostig und mit Spinnweben behängt. Der Wind stöhnte durch eine Lücke im Dach, und unter diesem Guckloch des Himmels wuchsen Brennnesseln und Vogelmiere auf einem Häuflein fau ligem Stroh. Abgesehen vom Geräusch des Windes herrschte eine Stille, die Zach plötzlich unheimlich fand. Selbst das ferne Blöken eines Schafs änderte nichts daran, dass sich das ganze Anwesen tot und vergessen anfühlte.
»Ja, bitte?« Eine Männerstimme hinter ihm ließ Zach zusammenfahren.
»Himmel, haben Sie mich erschreckt!«, sagte er. Er lä chelte, doch der Mann erwiderte sein Lächeln nicht. Er mus terte Zach mit einem ruhigen, abschätzenden Blick.
»Ist privat«, sagte der Mann schließlich und wies mit einer vagen Geste auf die Scheune. Er war mittelgroß, kleiner als Zach, aber stämmiger, mit kräftigen Schultern. Sein Gesicht wirkte abgespannt, die Wangen hohl, doch Zach schätzte ihn trotzdem ein wenig jünger ein, als er selbst war, Anfang dreißig vielleicht. Allein anhand seiner dunklen Haut hätte Zach vermutet, dass er aus dem Ausland kam, vielleicht aus Südeuropa, selbst wenn er nicht mit einem so starken, kehligen Akzent gesprochen hätte.
»Ja, ich weiß – Entschuldigung. Ich wollte nicht … Ich suche die Eier. Sie verkaufen doch Eier?«, entgegnete Zach, der sich schwertat, die Fassung wiederzugewinnen, da ihm so unverhohlener Argwohn entgegenschlug. Der Mann be äugte ihn noch einen Moment lang, dann nickte er und ging. Zach nahm an, dass er ihm folgen solle.
Sie überquerten den Hof aus Rillenbeton und betraten ein niedriges Gebäude aus Stein mit einer hölzernen, von der Zeit geschwärzten Stalltür. Der Pflasterboden drinnen war gefegt und geschrubbt, und an einem Ende des Raums war eine improvisierte Ladentheke aufgebaut – eine Tischplatte auf Böcken mit einer Metallkassette und einem di cken Kassenbuch darauf. Daneben lag ein Eierkarton, in dem fünf Eier standen. Der Mann beäugte den Karton mit gereiztem Blick.
»Es gibt mehr. Noch nicht gesammelt. Wie viele?«, fragte er.
»Sechs, bitte«, sagte Zach. Der dunkeläugige Mann blick te mit neutralem Gesichtsausdruck zu ihm auf, und Zach musste sich ein Lächeln verkneifen. »Fünf reichen auch«, gab er nach, doch der Mann zuckte mit den Schultern.
»Ich hole noch eins. Warten Sie.« Er ließ Zach in dem kleinen Raum allein, der wohl einmal ein Stall gewesen war. Als die Sonne kurz hinter einer Wolke hervorlugte, schimmerten die weiß getünchten Wände. Eine Reihe Bilder zog sich einmal um den Raum, das größte höchstens dreißig Zentimeter breit und zwanzig hoch. Eine Mischung aus Landschaften und Schafsporträts, in Kreide auf verschiedenen farbigen Papieren gezeichnet. Bescheidene Preise klebten an den einfachen Holzrahmen – sechzig Pfund für das größte Bild, das die Silhouette eines Schafs vor einem nahen Horizont zeigte. Am Himmel dahinter glühte ein rosiger Sonnenaufgang. Die Bilder waren durchweg gut. Ein ortsansässiger Künstler, nahm Zach an. Automatisch dachte er sich, dass sie in einer kleinen Galerie in Swanage sicher bessere Chancen hätten als hier, in einem Hofladen, der fünf Eier zu verkaufen und außer ihm keine Kundschaft hatte.
Während er die Bilder betrachtete, fragte er sich, wer der dunkelhaarige Mann sein mochte. Hannah Brocks Ehe mann? Ihr Freund? Oder nur jemand, der hier arbeitete? Letzteres erschien ihm unwahrscheinlich – der Bauernhof machte den Eindruck, als könnte er kaum genug für eine Person abwerfen, von einem Angestellten ganz zu schweigen. Blieben also nur Mann oder Freund, und er stellte fest, dass ihm beides nicht gefiel. Er hörte Schritte hinter sich und erwartete den Mann zurück, doch als er sich umdrehte, sah er Hannah Brock den kleinen Stall betreten. Sie blieb abrupt stehen, als sie ihn bemerkte, und er lächelte möglichst beiläufig.
»Guten Morgen«, sagte er. »So sieht man sich wieder.«
»Ja, welch ein Zufall«, entgegnete sie trocken. Sie trat hinter den Tisch, schlug das Kassenbuch auf und blickte stirnrunzelnd darauf hinab. »Kann ich Ihnen irgendwie behilflich sein?«
»Nein, nein. Ihr … Also, ich meine … Der Mann, der hier …«
»Ilir?«
»Ja, Ilir. Er holt mir gerade ein paar Eier. Na ja, ein Ei, um genau zu sein.« Er wies auf die fünf in dem Karton.
»Eier?« Sie blickte mit einem halben Lächeln zu ihm auf. »Wohnen Sie nicht im Pub?«
»Ja. Die sind für – für
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