Das verborgene Lied: Roman (German Edition)
Wein, Schnaps, Tabak, Gewürze, Tuche. Alles, was leicht zu transportieren und hier gut zu verkaufen war. Was glaubst du, warum Dimitys Häuschen The Watch heißt?«
»Verstehe.« Zach tastete mit den Zehen nach Halt und spürte scharfe Seepocken am Fels.
Sie setzten sich nebeneinander auf die Kante des Damms. Wo die Brise seine Haut getrocknet hatte, fühlte sie sich kälter an. Das Meer spiegelte helle Flecken in ihre Augen.
»Also bist du eigentlich deshalb hierher nach Blacknowle gekommen? Um ganz neu anzufangen?«, fragte Hannah. Sie zog die Knie an die Brust und schlang die Arme darum.
»Nicht direkt. Ich meine, jetzt habe ich ja Elise. Ich wünschte, ich hätte sie im Alltag um mich, wie früher. Ich wünschte, sie wäre nicht ein paar Tausend Kilometer weit weg, aber ich bin ihr Vater, und ich würde niemand anders sein wollen. Auf gewisse Weise ist sie auch ein Teil meines alltäglichen Lebens. Ich denke immer an sie. Und hierhergekommen bin ich wohl, weil ich mehr darüber erfahren muss, wer ich wirklich bin. Und meine Familie ist seit Generationen mit diesem Ort verbunden.«
»Ach ja?«, fragte Hannah. Zach lächelte über ihre zweifelnde Miene.
»Ja. Es ist sehr gut möglich, dass Charles Aubrey mein Großvater war, weißt du?« Hannah blinzelte, und zwischen ihren Augenbrauen bildete sich eine kleine Furche.
»Dein Großvater?«, wiederholte sie.
»Meine Großmutter hat immer behauptet, sie sei eine von Aubreys Frauen gewesen. Sie haben den Sommer 1939 hier verbracht und Aubrey kennengelernt. Er hat sie sogar gemalt. Und du weißt ja, was man über Charles Aubrey sagt – dass er einer von den Männern war, die jedem Kind, das ihnen auf der Straße begegnet, den Kopf tätscheln, weil es ihres sein könnte.«
»Charles Aubreys Enkel.« Hannah schüttelte leicht den Kopf, dann warf sie den Kopf zurück und lachte.
»Was ist so komisch?«
»Ach, nichts. Nur, wie sich die Dinge manchmal fügen«, antwortete sie ohne weitere Erklärung. Sie schien eine Weile zu überlegen, das Kinn auf die verschränkten Arme gestützt. An ihren schmalen Oberschenkeln bildete sich eine Gänsehaut. »Liebst du Ali noch?«, fragte sie schließlich.
»Nein. Aber ich liebe die Erinnerung an sie. Daran, wie es anfangs war. Und du, liebst du Toby noch?«
»Natürlich.« Sie zuckte mit den Schultern. »Aber jetzt ist es anders.« Sie presste die Lippen zusammen und wandte ihm den Kopf zu. »Ganz anders.« Sie schüttelte den Kopf. »Herrgott, ich habe mich so darauf getrimmt, ihn vor Ilir nicht einmal zu erwähnen, dass es mir schon schwerfällt, seinen Namen auszusprechen!«
»Aha«, sagte Zach. Zwei schwere Silben. »Ist ihm das so unangenehm?«
»Ja, aber nicht aus dem Grund, den du vermutest.«
»Was soll ich vermuten?«
»Ilir sagt immer – oder vielmehr sein Volk sagt das –, dass es nicht richtig sei, von den Toten zu sprechen. Das tut man nicht. Dort, wo er herkommt, gehört sich das absolut nicht.«
»Sein Volk?«, fragte Zach. Hannah zögerte, als sei sie unsicher, ob sie mehr sagen sollte.
»Ilir ist Rom«, antwortete sie dann.
»Du meinst, er ist ein Zigeuner?«
»Wenn man so will«, entgegnete sie in neutralem Ton fall. »In seinem Heimatland hat sein Volk keinen guten Namen.«
»Woher kommt er denn? Ich habe schon versucht, seinen Akzent einzuordnen«, bemerkte Zach. Hannahs bern steinfarbene Augen wurden schmal, und wieder hatte er den seltsamen Eindruck, dass sie ihm lieber nicht antworten würde.
»Aus dem Kosovo«, sagte sie knapp. »Ilir und Toby waren seit ihrer Kindheit befreundet. Na ja, Kindheit kann man wohl nicht sagen. Eher Teenageralter. Sie haben sich in Mitrovica kennengelernt, als Tobys Vater eine Weile beruf lich dort war, vor dem Krieg. Da waren die beiden et wa dreizehn, glaube ich. Zwölf oder dreizehn. Als Ilir von Tobys Tod erfahren hat, ist er hergekommen, um mir zu helfen.«
»Und geblieben?«
»Wie du siehst. Bisher jedenfalls. Welche Ironie – der einzige Mensch in meinem Leben, mit dem ich Erinnerungen an Toby austauschen könnte, weigert sich, von ihm zu sprechen.« Sie starrte eine Weile in Richtung des Hofes, und Zach glaubte beinahe, das Band zwischen den beiden sehen zu können, gespiegelt von den Strömungen im Wasser unter ihnen. Ihm sank der Mut.
»Schwimmen wir zurück? Es ist zu kalt hier draußen«, sagte er.
»Habe ich dir nicht gesagt, dass das Wasser wärmer ist, als es aussieht?«, entgegnete Hannah und stand auf. »Wollen wir springen?«
»Ist es
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