Das verborgene Lied: Roman (German Edition)
triumphierend.
»Vive la France. Kommt und esst.« Celeste lächelte. »Dimity, setz dich. Schinkensandwich oder eines mit Ei?«
Als sie gegessen hatten, legte Charles sich auf den Rücken, zog sich den Hut übers Gesicht und schlief. Celeste gab es auf, die Fliegen und Wespen verscheuchen zu wollen, die sich über die Reste ihres Picknicks hermachten. Sie legte sich ebenfalls hin, den Kopf auf Charles’ Bauch, und schloss die Augen. »Oh, wie ich die Sonne liebe«, murmelte sie. Die fünf verbrachten den ganzen Nachmittag dort oben. Die Mädchen beobachteten die schläfrig wirkenden Bienen, die zwischen Heidekraut und Ginster von Blüte zu Blüte taumelten, hielten Ausschau nach Schiffen weit draußen auf See, winkten und riefen den anderen Wanderern und Urlaubern zu, die auf der Klippe erschienen: alte Ehe paare mit Hunden, junge Männer und Frauen, die sich an den Händen hielten, Familien mit drallen Kindern, erhitzt vom Aufstieg. Die Fremden nickten und lächelten, und Dimity wurde klar, dass sie es ja nicht wussten. Diese Leute wussten nicht, dass sie keine Aubrey war, sondern eine Hatcher – nichts deutete darauf hin, dass sie nicht zur Familie gehörte. Und so war sie eine Zeit lang eine von ihnen, gehörte zu ihnen, und sie war so glücklich wie noch nie in ihrem Leben. Sie konnte nicht aufhören zu lächeln, und einmal musste sie sich von Delphine abwenden, weil das Gefühl so stark wurde, dass es in ihrer Nase kribbelte und ihr Tränen in die Augen zu treiben drohte.
Als die Schatten schließlich länger wurden, packten sie ihre Körbe und stiegen von der Anhöhe ab. Sie fuhren die kurze Strecke nach Charmouth und suchten etwa eine Stunde lang vergeblich nach Fossilien. Dann gab es Tee und Scones in einem kleinen Café an der felsigen Küste. Dimi tys Haut war nach diesem Tag in der Sonne trocken und spannte, und sie merkte an den leisen Stimmen, dass die Aubreys die gleiche angenehme Mattigkeit spürten wie sie selbst. Celeste schalt Élodie nicht einmal, als diese sich so viel Sahne und Marmelade auf ihr halbiertes Scone häufte, dass es nicht mehr in ihren Mund passte und ein großer Klecks davon auf ihre Bluse fiel. Anscheinend verblüfft, dass sie nichts darüber zu hören bekam, wies Élodie sie darauf hin.
»Mummy, ich habe meine Bluse schmutzig gemacht«, nuschelte sie mit zu vollem Mund.
»Das war aber dumm von dir, hm?«, entgegnete Celeste, ohne den gedankenverlorenen Blick von einer hoch oben segelnden Möwe abzuwenden. Delphine und Dimity wechselten einen Blick und lachten, und dann beluden sie ihre Scones genauso hoch wie Élodie. Dimity wurde ein wenig übel, weil sie so schweres Essen nicht gewöhnt war, aber es war zu köstlich, um darauf zu verzichten.
»Mummy, darf ich schwimmen gehen?«, fragte Élo die, nachdem eine Weile zufriedenes Schweigen geherrscht hatte.
»Warum nicht? Wenn eine der beiden Großen mitgeht«, antwortete Celeste.
»Schau mich nicht so an – du weißt, dass ich nicht gern schwimme, wenn der Strand aus Kies und nicht aus Sand ist«, sagte Delphine.
»Mitzy, kommst du mit? Bitte, bitte?«, flehte Élodie.
»Ich kann nicht, Élodie. Tut mir leid.«
»Natürlich kannst du! Warum denn nicht?«
»Na ja, ich …« Dimity zögerte verlegen. »Ich kann nicht schwimmen.«
»Natürlich kannst du schwimmen! Schwimmen kann doch jeder«, behauptete Élodie und schüttelte stur den Kopf.
»Ich kann es nicht«, sagte Dimity.
»Wirklich nicht?«, fragte Charles, der seit einer guten hal ben Stunde kein Wort mehr gesprochen hatte. Dimity ließ den Kopf hängen und nickte.
»Du hast dein ganzes Leben an der Küste verbracht und nie schwimmen gelernt?« Er klang ungläubig.
»Es war nie nötig«, erklärte Dimity.
»Aber eines Tages wird es vielleicht nötig sein, und dann ist es wahrscheinlich zu spät, um es noch zu lernen. Nein, das muss sich ändern«, sagte Charles kopfschüttelnd.
Bis zum Ende derselben Woche hatte er es ihr beigebracht. Dimity besaß keinen Badeanzug, also ging sie in Unterhose und Leibchen ins Wasser und paddelte und spritzte in kleinen Kreisen um ihn herum, während er sie mit einer Hand unter dem Bauch stützte. Anfangs glaubte sie, sie würde es niemals lernen. Es erschien ihr unmöglich, und sie prustete und keuchte, geriet in Panik, schluckte Meerwasser, das ihr in der Kehle brannte. Doch allmählich ließ das Gefühl nach, dass das Wasser sie umbringen wollte. Sie hörte auf, dagegen anzukämpfen, und lernte, sich zu entspannen, den
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