Das verborgene Lied: Roman (German Edition)
Körper zu strecken, das Wasser um ihr Kinn plätschern zu lassen, sich mit Armen und Beinen vorwärtszuschieben und normal zu atmen. Delphine schwamm um sie herum, rief ihr Ermunterungen zu und schalt Élodie, wenn sie lachte. Dann, endlich, gelang es ihr. Es war schon spät am Tag, die tief stehende, gelbe Sonne glitzerte wie Feuer auf der Wasseroberfläche. Der Druck von Charles’ Hand unter ihrem Bauch wurde immer leichter und verschwand schließ lich ganz, und Dimity ging nicht unter. Sie fühlte sich schutzlos ohne seine Berührung, hatte Angst ohne diese Stütze, doch sie schwamm, pflügte mit Armen und Beinen durch das Wasser und kam langsam, aber stetig voran. Etwa zehn Meter weit schwamm sie parallel zum Ufer, ehe sie die Füße auf den Grund stellte. Mit einem Lächeln freudiger Begeisterung drehte sie sich zu Charles um, der ebenfalls lachte.
»Hervorragend, Mitzy! Gut gemacht! Eine wahre Meerjungfrau«, rief er. Das feuchte Haar klebte ihm dunkel am Kopf, und auf seiner nackten, nassen Brust glänzte das satte Sonnenlicht, sodass er zu glühen schien. Dimity starrte ihn an. Der Anblick war prachtvoll, beinahe schmerzlich schön, doch sie konnte den Blick nicht abwenden.
»Hurra!«, rief Delphine und klatschte Beifall. »Du hast es geschafft!«
»Können wir jetzt endlich reingehen?«, fragte Élodie.
Dimity ging mit den dreien hinauf nach Littlecombe, erschöpft, aber selig. Ihr Haar hing in salzigen Strähnen über ihren Rücken, und sie hatte Sand unter den Fingernägeln, aber sie hatte sich noch nie so wunderbar gefühlt. Der Tisch war schon für fünf gedeckt. Fünf, nicht vier, und niemand fragte, ob Dimity zum Essen bleiben würde oder nicht. Celeste hatte ein besonderes Gericht mit Hühnchen und Reis und gedünsteten Zucchini aus dem Garten zubereitet. Sie setzten sich und berichteten laut und lebhaft von Dimitys ersten Schwimmerfolgen. Sie und Delphine durften sogar ein wenig Wein trinken, mit Wasser verdünnt, der sie zum Kichern brachte, ihre Wangen rosig färbte und ihnen später den Kopf so schwer machte, dass sie ihn am Tisch auf die Hände stützten.
Um zehn Uhr war es stockdunkel draußen, und pelzige Motten flatterten durch das Fenster herum und umtanzten die Lichter. Élodie hatte sich an Celeste geschmiegt und war in der Geborgenheit ihrer Arme eingeschlafen.
»Jetzt wird es aber Zeit, dass ihr ins Bett kommt, ihr drei«, sagte Celeste. »Charles und ich können den Abwasch machen.«
»Aber es ist noch früh«, widersprach Delphine, jedoch wenig überzeugend. Sie unterdrückte ein Gähnen, und Celeste lächelte.
»Da siehst du es«, sagte sie. »Also los.« Élodie murmelte protestierend vor sich hin, als Celeste aufstand und sie von der Küchenbank hochhob.
»Dann sollte ich jetzt gehen«, sagte Dimity. Widerstrebend stand sie auf, und ihr wurde bewusst, wie ungern sie in ihr eigenes Zuhause zurückkehrte.
»Es ist stockfinster, und du hast keine Taschenlampe. Übernachte doch hier – deine Mutter hat gewiss nichts dagegen«, sagte Celeste. Inzwischen wussten alle, dass Valentina kaum Einwände gegen irgendetwas hatte, solange sie ihr Geld bekam.
»Sie meinen – ich darf bleiben?«, fragte Dimity.
»Natürlich. Es ist spät. Du kannst in Delphines Zimmer schlafen. Geh nur mit nach oben, mein Kind. Du schläfst ja schon beinahe im Stehen! Bleib lieber hier, ehe du noch im Dunkeln von einer Klippe stürzt.« Celeste lächelte und scheuchte die drei Mädchen die Treppe hinauf. Mit einer Mischung aus Glück und Furcht vor dem, was Valentina am nächsten Morgen sagen würde, gehorchte Dimity.
Als das Licht ausgeschaltet war, steckten Delphine und Dimity unter dem Zeltdach ihrer Decken die Köpfe zusammen. Sie lagen dicht nebeneinander und schwatzten und kicherten, so leise sie konnten. Doch Delphine ergab sich bald ihrer Müdigkeit. Dimity lauschte ihrem leisen Atem und den Geräuschen von Charles und Celeste unten in der Küche, die gemeinsam das Geschirr spülten und aufräumten und sich mit gedämpften Stimmen unterhielten. Hin und wieder drang Charles’ Lachen durch den Fußboden, ein satter, herzlicher Laut. Dimity schloss die Augen, doch obwohl sie hundemüde war, konnte sie lange nicht einschlafen. Gefühle hielten sie wach – Gefühle, die ihr zu groß erschienen, um sie in sich zurückzuhalten, die sie kaum benennen konnte, weil sie ihr so fremd waren. Sie ließ die Hand zu ihrem Bauch gleiten, an die Stelle, auf die Charles seine Hand gepresst hatte, um sie über
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