Das verborgene Netz
eine Vermutung hatte, wer für die Morde an Philipp Schulz und Hans Peter Steinhoff verantwortlich war. Zusammen mit seinem Partner und Steinhoff hatte er sei Beginn dieses Jahres das Netz um GoSolar geknüpft – die Operation vorbereitet, Wohnungen gesucht, abhörsichere Mobiltelefone besorgt, geeignete Spitzel ausgewählt, den richtigen Moment abgepasst, um sie einzuschleusen, Esther überwacht, Treffen organisiert, wenn es notwendig geworden war. Er kannte alle Beteiligten, hatte gemeinsam mit Steinhoff die
Fäden in der Hand gehalten, an denen die Marionetten getanzt hatten. Kaum denkbar, dass im Hintergrund jemand agierte, von dem er nichts wusste.
Die Franzosen?, hatte sie gefragt.
Können sich einen Mord nicht leisten, hatte er erwidert.
Der Geheimdienst?
Ist längst aus dem Spiel.
»Bonì«, brummte es über ihr.
Sie öffnete die Lider, starrte in Peter Schönes kleine, von den Tränensäcken halb verdeckte Augen.
»Ich weiß schon, warum ich beim D 31 bin und nicht beim D 11 . Jeden Tag eine Leiche, und man kommt nicht mehr zum Schlafen.«
Schöne saß zusammengesunken auf dem Sofa gegenüber, hatte sich mit tief gefurchter Stirn angehört, was seit ihrem Telefonat am frühen Abend geschehen war. Als stellvertretender Leiter der Soko wurde er oben am Tatort erwartet, aber er schien sich nicht aufraffen zu können. Sie dachte an ihre Begegnung vom Dienstagnachmittag, als er sie in seinem Büro hatte auflaufen lassen. Der Vorwurf, sie wildere in seinem Revier, die Frage, ob sie wieder hysterisch sei. Nun hockte er apathisch vor ihr und sehnte sich nach seinem Bett.
»Vertraust du dem Kerl?«
Sie zuckte die Achseln.
»Ich würde dir ja anbieten, dass ich mitkomme … « Verlegen schürzte er die Lippen. »Aber ich wäre keine große Hilfe.« Eine Fliege trippelte langsam über seine Schulter, als hätte seine Müdigkeit auf sie abgefärbt. Er bemerkte sie nicht.
»Schon okay. Kümmerst du dich um alles andere? Die Techniker, den Staatsanwalt, morgen früh GoSolar ...
heute
früh.«
Er nickte seufzend. Das Bett musste warten.
Einer der Kollegen vom KDD trat zu ihnen. Sie hatten zwei Hülsen gefunden – und die beiden Projektile, eines in der Zimmerwand, eines im Holzboden unter Steinhoffs Leiche. »Definitiv keine Walther P 5 «, sagte er. »Genügt dir das?«
»Ja.« Kein Beweis natürlich, aber es stützte ihre Vermutung, dass Mike nicht der Täter war. Wenn er eine zweite Schusswaffe bei sich hätte, dachte sie, hätte er sie in der Klinik gezogen, sich nicht nach den Pistolen auf der Stufe gebückt. Bücken dauerte doch länger als ziehen.
»Und die Zimmernachbarn?«
»Haben nichts gehört und niemanden gesehen.«
»Danke.«
Als sich der Kollege abwandte, flog die Fliege davon.
»Dann gehe ich wohl auch mal hoch«, sagte Schöne.
Sie erhoben sich.
»Was von Rolf gehört?«, fragte Louise.
»Unverändert.«
»Unverändert was?«
Schöne zögerte. »Hat Rita dich nicht angerufen?«
»Nein.« Louise sank auf den Sessel zurück. Ein kaltes Kribbeln lief über ihre Haut.
»Hm. Sie wollte dich anrufen.«
»Was ist mit Rolf?«
»Na ja, er hat ein Hämatom.« Schöne rieb die gespreizten Hände über seine Hüften, räusperte sich, als wäre es ihm unangenehm, dass ausgerechnet er die schlechte Nachricht überbringen musste.
»Im Kopf?«
Er nickte, setzte sich ebenfalls wieder.
Bermann hatte die Fahrt nach Ebnet abgebrochen, weil er starke Kopfschmerzen bekommen hatte und ihm schwindlig gewesen war. Zehn, zwanzig Minuten lang wartete er im Wagen, doch sein Zustand besserte sich nicht. Mit einem Taxi fuhr er in die Polizeidirektion, setzte sich an den Schreibtisch. Kollegen überredeten ihn schließlich, sich in die Notaufnahme bringen zu lassen. Auf dem Weg dorthin verlor er kurzzeitig das Bewusstsein. Den Ärzten sagte er, er habe wohl eine Gehirnerschütterung. Wieder verlor er das Bewusstsein. Untersuchungen am Abend ergaben, dass er sich keine Gehirnerschütterung, sondern ein Schädelhirntrauma mit Hämatom zugezogen hatte.
Er lag im Koma.
Um Viertel nach zwei verließ Louise das Hotel. Peter Schöne hatte ihr den Gedanken, sofort an Bermanns Krankenbett zu fahren, ausgeredet. Die lassen dich jetzt sicher nicht rein, und du kannst sowieso nichts tun. Der wird schon wieder, der hat einen harten Schädel.
Einen Schädel mit einem Riss.
Während sie durch die nächtlich leeren Straßen in Richtung Kaiserbrücke raste, rief sie sich wieder und wieder den Moment vor
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