Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das verborgene Wort

Das verborgene Wort

Titel: Das verborgene Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Hahn
Vom Netzwerk:
gesäumt und mit Kopfsteinen gepflastert. Nach dem grellen Licht in den Straßen tat die grüne Dämmerung den Augen wohl. Die schattigen Gärten der wenigen Häuser waren von dem angrenzenden Park kaum zu unterscheiden. Von ferne bellte ein Hund, rief ein Kind. So mußte Tonio Kröger gelebt haben, den ich gerade liebte, aber auch sein Freund Hansen, den ich verachtete. Auf der Terrasse eines wei-ßen Hauses hob und senkte eine Frau in einem dunkelblauen, weißgetupften Jäckchenkleid ein paarmal die Hand, als übe sie das Winken. Ihr helles Haar umrahmte ein schmales, blasses Gesicht mit einem leuchtendroten Mund. Die Glocke ihres Rocks in einen eleganten Schwung versetzend, verschwand sie ins Hausinnere. Nicht einen Schritt kam sie uns entgegen, stand reglos im weit aufgerissenen Portal. Na endlich, sagte Georgs Mutter statt einer Begrüßung. Sekundenlang berührten ihre dünnen, kalten Finger die meinen wie einen Gegenstand, mit dem man nichts zu schaffen haben will, dann zog sie ihre Rechte zurück und steckte sie zwischen die Rockfalten, als wische sie die Hand dort ab. Von nahem sah sie aus wie eine sorgfältig bemalte Porzellanfigur mit haarfeinen Sprüngen.
    Im Wohnzimmer ein Schrank voller Bücher hinter Glas, Rosen in hohen Vasen zwischen Stehlampen und bronzenen Statuetten. Georgs Mutter gab mir Kaffee zu trinken und Kuchen zu essen, als füttere sie einen zugelaufenen Hund. Ihren Sohn verwickelte sie in ein Gespräch über Lokalpolitiker, die angeblich Unterschlagungen begangen hatten. Als Georg zu fragen wagte, ob es mir schmecke, stieß sie den Stuhl zurück und rauschte hinaus. Sie ist etwas nervös, wenn Freunde kommen, sagte Georg. Komm, ich zeige dir mein Zimmer.
    Nach Nordwesten gelegen und von einer ausgewachsenen Edeltanne verschattet, war dieser Raum noch düsterer als das Wohnzimmer. Georg drückte den Lichtschalter, Lampen, mit roter, grüner und lilafarbener Seide bespannt, flammten auf. Zwei Bronzeneger hielten die roten, ein Elefant balancierte die grünen Schirme, der lilafarbene saß auf einer Kokosnuß. Rechts vom Schreibtisch, einem ausladenden Möbel mit Löwentatzen und Schnitzwerk, stand ein dazu passendes Regal mit mathematischen Büchern. Links hing eine Gitarre an der Wand, daneben stierte ein ausgestopfter Wolfskopf in das bunte Dämmerlicht. Auf der Anrichte darunter zog über einen golddurchwirkten, schwarzen Läufer eine Karawane aus Zinn, turbantragende Soldaten richteten Flinten gegeneinander, Frösche saßen in winzigen Bänken vor einem Lehrerpult, dahinter ein Frosch mit Brille und Doktorhut. Eine andere Kommode war mit Vergrößerungsgläsern vollgestellt, mit Lupen, Mikroskopen, Ferngläsern. An-derswo standen Fotos und Stiche in silbergetriebenen Rahmen, rosen- und rankenverziert, Briefbeschwerer aller Art, Blüten in Glas und der Petersdom im Schnee, Kerzenleuchter und bemalte Gefäße. Ein kleines Mahagoniregal zeigte bizarre Steine, eine Ananas aus Porzellan und eine alabasterne Stutzuhr unter einer Glasglocke. Von der Decke herab hingen an dünnen Drähten Schmetterlinge und bunte Vögel, die einander umkreisten. Soweit die Wände zwischen Schränken, Vitrinen, Konsolen, Bildern und Statuen noch hervorschauten, waren sie mit dem gleichen Stoff beklebt, der in dichten, von Goldkordeln gerafften Falten auch zu Seiten der Fenster hing, die beiden Sessel und das Bett, ein verschnörkeltes Messinggestell, überzog. Schwerer Damast, purpurn in den Vorhängen, altrosa auf den Möbeln, dunkelgrün an den Wänden. Über und über von Goldfäden durchzogen, prickelte Licht aus dem Stoff in den Raum wie von Wunderkerzen. Zwei große, ovale, leicht gegeneinander verschoben aufgehängte und mit unzähligen kleinen schwarzen Flecken übersäte Spiegel, von deren Lilienblüten das Blattgold sich hier und da schon gelöst hatte, steigerten den Wirrwarr der Dinge in einen haltlosen Taumel. Nelkengespickte Apfelsinen und Zitronen, Quitten und Äpfel lagen im Raum verteilt und verströmten einen unbestimmbaren Duft. Georg griff eine Birne aus der Obstschale, beschnupperte sie und schälte mit einem winzigen Perlmuttmesser eine endlose Spirale, die sich auf den schwarzroten Flor des Teppichs schlängelte, wo er sie achtlos liegenließ. Sein Vater, erzählte er, habe das alles zusammengetragen. Seit sie untervermieten müßten, habe die Mutter die Sachen in sein Zimmer gestellt.
    Auf dem Schreibtisch herrschte Ordnung. Dort lagen sauber geschichtete Papierstapel nebeneinander, eine

Weitere Kostenlose Bücher