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Das verborgene Wort

Das verborgene Wort

Titel: Das verborgene Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Hahn
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Tajetis. Aber die haben die Schnecken fast janz jefressen.
    Peter beschrieb das Grab in allen Einzelheiten, sogar den Sprung der Steintafel in der linken Ecke oben ließ er nicht aus. Und mußte doch weiter. Weiterreden. Isch weiß nit jenau, wat deine Mutter meiner Mutter erzählt hat. Sie haben misch weggeschickt zum Komposthaufen, du weißt ja, janz am anderen Ende, mit der schweren Schubkarre. Peter machte erneut eine Pause. Ich sah ihn an. Wir schwiegen. Aber es war nicht länger das gemeinsame Schweigen unserer guten Tage.
    Ich streckte die Beine von mir. Die Absätze scharrten durch die Schlacke, mit der die Gemeinde die Wege am Rhein von Zeit zu Zeit aufschütten ließ. Peter setzte sich gerade. Er habe, so Peter, gewartet, bis meine Mutter weg war. Seine Mutter habe ihre Hacke weggeschmissen, einfach von sich geschleudert, so etwas tue sie sonst nie, und gesagt: Lommer heemjonn, und so hätten sie schon am hellichten Tag die Sachen zusammengepackt. Zu Hause habe die Mutter ihn zum Torfen in die Treibhäuser geschickt und erst nach Stunden wieder ins Haus gerufen. Kirschpfannekuchen habe sie ihm gebacken, obwohl es die sonst nur sonntags gebe, mit Puderzucker, und dann habe sie ihm klipp und klar verboten, sich mit mir noch einmal blicken zu lassen. Warum, habe er gefragt, warum, aber da habe sie nur den Kopf geschüttelt, nä sujet, nä sujet geseufzt, Hochmut kommt vor dem Fall, und: Dat kütt hi nit mieh en et Huus. So, wie die Mutter mich in den Himmel gehoben habe, mache sie mich jetzt herunter. Ich sei seiner nicht wert. Er sei zu schade für mich. Nicht einmal mehr beim Namen nenne mich seine Mutter. Nur noch dat Minsch, und meine Mutter: Dat-ärme-Maria. Dat hät et nit verdeent. Warum, das wolle sie ihm aber um keinen Preis sagen. Aber du, Peter wandte sich zu mir, du mußt et doch wissen. Sein Gesicht war ruhig und unbewegt wie die Dinge, mit denen er zu tun hatte, Pflanzen, Erde, Gräber.
    Nein, sagte ich. Ich weiß es auch nicht. Die Mutter hat einen Brief aus Italien gekriegt.
    Aus Italien, echote Peter.
    Ja, sagte ich.
    Mit einem langgezogenen Tuten ging ein Schleppkahn in die Kurve stromabwärts. Er ragte hoch aus dem Wasser, kaum beladen. Auf Deck holte eine Frau Wäsche von der Leine. Noch lange rollten die Wellen ans Ufer, kreischten im Kielwasser ein paar Möwen hinterher.
    Seinen Anzug trug Peter heute nicht. Er saß da in seiner speckig steifen Lederhose und einem karierten, kurzärmligen Hemd, die er bei der Arbeit trug. Aber seine Aktentasche hielt er auch jetzt an die Brust gepreßt.
    Wenn du disch schickst, Hildejard, sagt die Mutter, kann noch alles jut werden, sagte Peter. Aber ein Jahr lang darf isch disch jetzt nit treffen. Aber im nächsten Jahr jenau an diesem Tach sitz isch hier und warte auf disch. Wie die Cichorium intybus, die gemeine Wegwarte, weißt du noch?
    >Die Wegwarte, eine verzauberte Jungfrau, wartet auf ihren Geliebten, der sie verlassen hat. Steht am Wege und späht nach ihm in alle Himmelsgegenden aus. Die Cichorium intybus von Albertus Magnus, auch Sponsa solis, Sonnenbraut genannt, weil ihre Blüten der Sonne getreulich auf ihrem Weg durch den Himmel folgen und von alters her, schon seit Ovids Zeiten, das Symbol der treuen Liebe sind<, dozierte ich, meine Verwirrung nur mühsam verbergend, als Peter aufstand und mir eine dieser Blüten, die er wer weiß woher hatte, hier jedenfalls wuchsen keine, mit einer feierlichen Verbeugung entgegenstreckte. Ich nahm die Blume. Peters Züge entspannten sich. Später begriff ich, daß er meinen Reflex, etwas anzunehmen, einfach weil es mir entgegengehalten wurde, als Gelöbnis gedeutet hatte.
    Und das, das ist für dich. Peter ließ die Schlösser seiner Aktentasche schnappen, das Blech blitzte auf in den schrägen Sonnenstrahlen, drückte mir ein braunes Packpapierpaket in die Hand und ging.
    Ich blieb sitzen, drehte die Blüte zwischen den Fingern. In meinem Schoß das, was ich nie hatte berühren dürfen: das Großvaterbuch. Und noch mehr. Peter hatte versprochen, mir an einem der nächsten Regentage sein Herbarium zu zeigen. Ich konnte mir darunter nichts Rechtes vorstellen. Nun hielt ich drei
    Blätter seiner Sammlung in der Hand. Klatschrose, Platterbse, Wegwarte. Die sorgfältig gepreßten Pflanzen klebten auf dünner grauer Pappe und waren von so anrührend zerbrechlich-zarter Schönheit wie nie in der Natur. Diese seidige Rosette mit dem immer noch tiefschwarzen Flecken am Kelchrand war keine Klatschrose mehr,

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