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Das verborgene Wort

Das verborgene Wort

Titel: Das verborgene Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Hahn
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Großmutter fuhrwerkte mit dem Feuerhaken in der Glut, bedacht, jeden Funken auszutreten, ehe er schwarze Punkte in das Linoleum brennen konnte. Der Fußboden in der Küche hatte verschiedene Farben und Muster, Reste, die der Vater verklebt hatte, wie sie gerade kamen. Vor dem Herd lag ein Extrastück, um das darunterliegende vor Funken zu schützen. Dieser Streifen wechselte häufig. Zur Zeit war er hellblau meliert, mit roten und grünen Segelschiffen.
    Es klingelte. Kurz und resolut. Die Mutter schob die Kettenstränge unwillig beiseite. Ja Frau Unkelbach, hörte ich sie aus dem Flur, dat is eine Überraschung. Kommt rein. Tut mir leid, wie et hier aussieht. Avver von jet muß mer jo läve. Wollt ehr ösch nit setze? Frau Unkelbach blieb stehen. Der einzige freie Stuhl war über und über mit Ketten behängt.
    Kind, sagte die Mutter, jib dä Frau Unkelbach dat schöne Händschen und mach ene Knicks.
    Ach, Frau Palm, lassen Sie Ihre Tochter doch lesen. Was liest dudenn da, mein Kind? Unfähig zu jedem Wort, hielt ich das Märchenbuch hoch. Frau Unkelbach nickte, öffnete schwer atmend ein paar Knöpfe ihres Persianers und ließ sich auf den kettenstarrenden Stuhl sinken, der, wie das Panzerhemd eines Ritters von schwerem Stoß getroffen, rasselte.
    Ich wollte Ihnen nur den Beitrag für den Missionsverein vorbeibringen, sagte Frau Unkelbach und nestelte ihr Portemonnaie aus der Einkaufstasche. Und noch fünf Mark extra, weil die Hildegard so schön erzählt hat neulich. So einen friedlichen Namenstag hatten wir noch nie. Und du freust dich ja sicher auch, mein Kind, wenn ein armes Heidenmädchen als eine kleine Hildegard getauft wird, nicht wahr?
    Um die Ketten zu beleuchten, war die Küchenlampe weit heruntergezogen worden. Ihr Licht fiel auf Frau Unkelbachs Persianerkappe, hellgrau mit dem dunklen Fell des Mantels harmonierend, und tauchte die Dauerwelle, die an den Rändern hervorquoll, in einen milden zauberischen Glanz. Gab es etwas Schöneres als dieses gutmütig lächelnde Gesicht mit seiner von Kälte und Schnupfen geröteten Nase und den tränenden Augen?
    Na, sehen Sie, wie das Kind sich freut. Frau Unkelbach schneuzte sich. Sie können stolz sein auf Ihre Tochter, Frau Palm.
    Die Großmutter hatte aufgehört, mit den Herdringen zu klappern, stand lauernd im Hintergrund und ließ sich kein Wort entgehen. Frau Unkelbach erhob sich klirrend: Jetzt wird es aber Zeit für mich. Mein Mann ist in einer halben Stunde zu Hause. Da muß das Essen auf dem Tisch stehen, etwas Warmes, und drei Gänge müssen es schon sein. Die Großmutter seufzte. Drei Gänge. Werktags. Das hatte es zu ihrer Zeit nur bei Bürgermeisters gegeben.
    Erst nach einer Woche wagte ich, das Buch wieder hervorzuholen. >Schott< stand in flammendroten Buchstaben auf der ersten Seite. >Meßbuch für den Laien in lateinischer Sprachen. Erschrocken drehte ich mich um. Jesus hing in seiner Ecke überm Sofa an Großvaters Kreuz und rührte sich nicht. Nicht Teufels, sondern Gottes Wort hielt ich in meinen Händen. Latein! Die Sprache Gottes! Pastor und Kaplan, der Pater im Krankenhaus redeten Latein, wenn sie mit Gott sprachen in der heiligen
    Messe. Die Sprüche des >Schott< waren Sprüche zu Gott. Schneller als normale Gebete. Telegramme ins Jenseits.
    Ich schlug das Buch beim grünen Seidenbändchen auf. >In prin ci pi um«, setzte ich Silbe für Silbe zusammen, >er at Ver bum et Ver bum er at a pud De um et De us er at Verb um.< Mit fliegenden Fingern schrieb ich die Wörter in mein Schreibheft. >Hoc e rat in princ ipio a pud De um. Om nia per ip sum fact a sunt.< Ich schmierte über die Seite, über Zeilen, Linien, Ränder hinweg, die Sprache Gottes ein Wirrwarr unverständlicher Zeichen, klangvoll und ohne Sinn. >Vi ta er at lux ho min um et lux te ne bris lu cet.< Der Großvater stapfte heran. Ich rannte die Treppe hinauf und verbarg Gottes Wort wieder unter der Matratze.
    Et es e fuul Schoof, dat sing Wull für Maidaach ustrick, [23] pflegte die Großmutter zu sagen. Erst im Mai durften wir die langen Wollstrümpfe samt dem Leibchen aus- und Kniestrümpfe anziehen. Erst dann gab es den großen Hausputz.
    In diesem Jahr hatte die Mutter das Stichwort der Großmutter nicht abgewartet. Während mein Bruder und ich noch ahnungslos in den April hinein schwitzten, nahm die Mutter die Betten auseinander.
    Dreiteilig, mit blau-weiß gestreiftem Drillich bezogen, lagen die Matratzen in den Fenstern, als ich aus der Schule kam. Meine Eins im Diktat

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