Das verborgene Wort
Bildern der Einbände, daß es sich um verschiedene Bücher handelte. Ich hockte mich mit Sindbad dem Seefahrer hinter das Kasperletheater und war verschwunden.
Regte ich mich auf, lief mir die Nase. Als mich der Vogel Rock am Schlafittchen packte und übers Meer trug, brauchte ich dringend ein Taschentuch. Mein Mantel hing im Flur, und die Wohnzimmertür stand offen, das Bücherregal gleich daneben, ein kleines schwarzes Buch direkt an der Kante. Mit einem Griff ließ ich das Buch unter meinem Pullover verschwinden, stopfte es auf die nackte Haut zwischen Leibchen und Unterhose, darüber der Pullover aus wulstiger Schafswolle. Sehr aufrecht bezog ich wieder meinen Winkel in der Kasperlebude.
Abends gab es Würstchen und Kartoffelsalat, hartgekochte Eier und Obstsalat aus Apfelsinen und Bananen. Ich wagte mich kaum zu rühren. Das Buch drückte auf den Magen. Begann, weil ich kaum etwas essen konnte, zu erzählen, was ich gerade gelesen hatte, das Märchen von >Sindbad dem Seefahrern
Ein Kind nach dem anderen verstummte. Auch Frau Unkel-bach blieb mit dem Apfelsaft in der Tür stehen und hörte zu. In vollendeter Haltung saß ich auf meinem Stuhl, stürzte Sindbad von einem Unglück ins andere und gab ihm schließlich, als die ersten Mütter klingelten, den Gnadenstoß von einer Klippe ins Meer.
Un doheem deet dat Blaach de Schnüß nit op, schnitt die Mutter Frau Unkelbach das Wort ab, die nicht müde wurde, mich zu loben, so brav sei ich gewesen, so schön habe ich erzählt. Frau Unkelbach zupfte mir die Mütze ein wenig tiefer in die Stirn. Sie war aus den aufgeribbelten Fäustlingen des hasenschlachtenden Onkels gestrickt; wann immer ich sie aufsetzte, spürte ich seine blauroten, dicht behaarten Hände im Genick und roch Hänschen auf dem Teller. Steifbeinig stieg ich die beiden Stufen vom Bungalow in den Februarabend.
Es war leicht, das Buch ins Schlafzimmer und unters Kopfkissen zu bringen. Es war Winter und kalt. Von den Fenstern des nach Nordwesten gelegenen Kinderschlafzimmers tauten wochenlang die Eisblumen nicht ab. Wir schliefen in der Unterwäsche, über die ich einen Schlafanzug aus Flanell und alte Jacken oder Pullover zog. Auch die Strümpfe behielt ich an, wickelte sie mir bis zu den Waden herunter. Im Backofen schmorten tagsüber mit Sand gefüllte Steinhägerflaschen, die abends in ausrangierten Socken ans Fußende der kalten, klammen Betten geschoben wurden. Während ich sonst blitzschnell mit der schweren heißen Last durch den Flur die Treppe hinaufhuschte, nahm ich diesmal gemessen Stufe für Stufe, den sackigen Strumpf in der Rechten, die Linke auf dem Magen, eine Heilige vor ihrer Verklärung. Jitz es et övverjeschnapp, kommentierte die Mutter. Jelobt sei Jesus Christus, sagte die Großmutter und schaute mir wohlwollend hinterdrein.
Vom Bruder war schon nichts mehr zu sehen. Wir verhüllten sogar noch unsere Nasen, um die eisige Luft durch eine lose gebauschte Vorlage körperwarmen Bibers zu filtern. Bis die Mutter selbst ins Bett ging, durfte die Nachttischlampe brennen. Ich zog das Buch aus der Unterhose, schlug es irgendwo auf. Wörter sah ich, dazu Noten ohne Hälse, eckig, nicht wie im Gebetbuch, wo sie dickbäuchig auf den Linien dahinsegelten, frisch bewimpelte Boote. >Tan tum er go sac ra men tum<, buchstabierte ich, zit-ternd vor Kälte und Erregung, >Ve ne re mur cer nu i.< Eisig schrieb sich mein Atem in die Luft, ballte sich zu einem Wörterwölkchen zusammen und entschwebte aus dem trüben Licht der Lampe an die Zimmerdecke. Unten schlug eine Tür. Schritte auf der Treppe. Nur noch eine Zeile. >Ge ni to ri ge ni to que laus et ju bi lat io sa lus ho nor. .. .< Ich vergrub mich unter der Decke. Die Mutter machte das Licht aus. Ich glühte. In meinen Händen flammend das Zauberbuch. Sprüche voller Macht und Herrlichkeit. Hexensprache. Hexensinn. >Schakamankabudibaba< hob sich der fliegende Teppich, >Mutabor< war der Kalif ein Storch, >Laus et jubi latio<. Ich mußte den Wörtern ihr Geheimnis entreißen.
Im Winter war es schwierig, im Haus allein zu sein. Selbst auf die Speichertreppe wagte ich mich nicht. Nicht mit diesem Buch. Tage vergingen.
Das Buch lag zwischen Sprungfedern und Matratze. War es noch nicht vermißt? Womöglich konnte Frau Unkelbach den Spruch zum Auffinden verlorener Gegenstände auswendig wie ein Gebet zum heiligen Antonius.
Die Mutter saß über ihren Ketten, der Bruder spielte mit Bauklötzen unter dem Tisch. Ich las in meinem Märchenbuch. Die
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