Das verborgene Wort
Guten Tag, Frau Palm, und wieder die Hand an den Hut und im Bogen hinunter, zum Bauch und hinauf. Dabei legte er den Kopf in den Nacken und schaffte es so, aus der Verbeugung heraus, einer jeden von unten herauf tief in die Augen zu sehen. Kam die
Reihe an uns Kinder, wurde der Hut nur noch flüchtig gelüftet, als wäre ihm heiß. Dann setzte er ihn wieder auf sein schütteres gelbliches Haar und schob ihn schräg aus der Stirn. Sein Blick, seine Verbeugung machte die Frauen zu Königinnen, falsch wie sein Gebiß. Er sprach Hochdeutsch wie sonst nur Pfarrer, Bürgermeister, Nonnen. Respektspersonen. Daß er keine war, der Wäschemann, spürten auch die Frauen. Hier war jemand, der etwas von ihnen wollte, dem sie etwas gewähren konnten. Dafür wollten sie mehr haben als Bettbezug oder Korsett. Sie wollten fühlen, daß sie zählten. Sie persönlich. Der Wäschemann wußte das und verkaufte sich mit, zumindest das, was von ihm mit den Koffern unterwegs war. Mag sein, daß abends, wenn er das Gebiß ins Glas legte, ein anderer Wäschemann zum Vorschein kam, einer, der die Mundwinkel hängenlassen und endlich schweigen durfte. Hier mußte er reden. Uber den Alltag hinweg, über die Sorgen hinweg, über das Einerlei, die Eintönigkeit, die Enge, die Begrenztheiten mußte er hin- und wegreden. Meine Damen, nannte er sie. Viel von Krankheiten war die Rede, von spektakulären Heilungen und hoffnungslosen Fällen, vom Burkötter Bauern, den der Eber zwischen die Beine geschnappt, ratz und weg, worauf die Frauen in ein langgezogenes Nää, sujät! ausbrachen und Gerda, die mit einem Evangelischen verheiratet war, sogar ein Kichern unterdrückte. Lange rätselten mein Bruder und ich, warum die Frauen um einen Riß in der Hose ein solches Getue machten. Man konnte ihn doch flicken.
Diesmal erzählte der Wäschemann die Geschichte von einer Frau aus dem Bergischen, die jahrelang für eine Wallfahrt gespart hatte. Sie hinkte aus der linken Hüfte heraus und hatte keinen mitgekriegt. Der Wäschemann machte eine Pause, und die Frauen nickten wissend und zufrieden. Sie hatten gesunde Beine und einen im Haus. Es kam zu der Wallfahrt, und siehe da, die Frau aus dem Bergischen hinkte hinfort nicht mehr. Damit hätte es sein Bewenden haben können, doch in den Händen des Wäschemanns spielte das Leben unerbittlich weiter. Einen lieben Mann habe die Frau daraufhin im Handumdrehen gefunden und geheiratet auch. Oh, welch doppeltes Glück und welche Erhörung seitens der heiligen Mutter Maria. Die Frauen seufzten und nicktenerneut. Der Wäschemann hob seinen Koffer auf den Küchentisch. Aber da, fuhr er fort, war der eine Mann nicht mehr genug. Er war ja auch nie zu Hause, nur arbeiten, und für wen denn? Nur für sie. Doch kam, sobald der Mann auf Schicht war, der Briefträger. Und die Frau, keinen Namen, Sie verstehen, meine Damen, lag schon im Fenster. Das ging eine Weile gut. Bis eine Nachbarin den Mann von der Frau, keine Namen, meine Damen, fragte, seit wann er denn soviel Post kriegte, der Briefträger wäre jeden Tag bei ihm und müßte die Briefe wohl auch noch buchstabieren, so lange dauere das, bis der wieder herauskäme. Die Frauen warfen sich Blicke zu, Gerda flüsterte Gisela etwas ins Ohr, worauf die rot wurde und hustete. Und dann, meine Damen, kam's, wie's kommen mußte. Der Mann sagt, er geht zur Arbeit. Geht aber nicht. Paßt den Postboten ab. Wartet, bis der drin ist, im Haus, meine Damen. Schleicht selbst rein. Und, was sage ich, in flagranti. Verständnisloses Gemurmel. Im Bett. Triumphierender Rundblick des Wäschemanns.
Dat Wiev, rief die Tante; Heidewizka! Gerda. Nä sujet, die Mutter; Dä ärme Kääl, seufzte Cousine Maria. Welsche meens de dann? grinste Hanni, ihre Schwester. Heldejaad, Bertram, dat is nix für ösch, jot spille, befahl die Großmutter. Ich dachte nicht daran. Die Frau hatte womöglich Unkeuschheit getrieben. Ich mach es kurz, meine Damen, fuhr der Wäschemann, der Großmutter beruhigend zunickend, fort. Der Mann läßt sich scheiden. Die Frau ist schuldig und kriegt keinen Pfennig. Der Briefträger wird entlassen und zieht in eine andere Stadt. Zwei Wochen nach der Scheidung kommt die Geschiedene aus einem Etablissemang, wo man, wo, Sie wissen schon, Blick auf Bertram und mich, sie kommt dort also heraus und will nach Hause fahren. Und was sage ich Ihnen, die Frau tut einen falschen Tritt, die Bahn fährt an und über ihren Fuß. Hier. Der Wäschemann hob sein Bein wie ein Hund, der
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