Das verbotene Eden 02 - Logan & Gwen
wünschen dich zu sehen. Schon vergessen?
Logan biss sich auf die Lippen. Natürlich, das Treffen mit Alexander. Er hatte ihn für zehn Uhr bestellt.
»Wie spät ist es?«
Dachs signalisierte halb elf.
Logan spürte ein Pochen hinter seiner Stirn. Warum nur schien die Sonne an solchen Tagen immer heller als sonst?
»Dann habe ich wohl keine Zeit mehr, mich umzuziehen?«
Dachs schüttelte den Kopf.
»Sei’s drum. Gehe ich eben so.«
Dachs machte das Zeichen für
Kopfabreißen.
»Du verstehst es wirklich, einem Mut zu machen, weißt du das?«
Dachs grinste.
Immer zu Diensten.
Das Hauptquartier des Warlords befand sich im Westen. Damals, während der Dunklen Jahre, bildeten die Hochhäuser den letzten Zufluchtsort gegen die wilden Horden von Frauen, die mit den Männern um jeden Quadratmeter ihres Territoriums stritten. Angeblich hatten in der Zeit vor den Dunklen Jahren bis zu tausend Menschen in eines dieser Silos gepasst; heute standen sie größtenteils leer. Die Trabantenstädte waren deshalb so hart umkämpft, weil ihnen als Außenposten eine strategische Bedeutung zukam. Von hier aus konnten die Männer des Inquisitors, die sogenannte
Heilige Lanze,
Angriffe gegen die ländlichen Kommunen starten und den Frauen empfindliche Niederlagen zufügen. Erst der Pakt von 2064 , als die Grenzen festgelegt und die Grundlage für die Landernten niedergeschrieben wurden, sorgte für dauerhaften Frieden. Die Kirche zog sich in den Innenstadtbereich zurück und überließ die Außenbezirke den Warlords. Allerdings unter der Bedingung, dass sie der Kirche Treue schworen.
Alexander herrschte über vierhundert kampferprobte Männer, in den anderen Clans waren es teilweise noch mehr. Die meisten waren Jäger und Fallensteller, die Hunden, Katzen, Kaninchen und Ratten nachstellten. Ein paar hatten sich auf den Anbau von Getreide spezialisiert, das auf den ebenen Flächen der ehemaligen Parks und Äcker überraschend gut gedieh. Allerdings nicht, um daraus Brot herzustellen, sondern vielmehr, um Bier zu brauen und scharfe Schnäpse zu brennen. Frauen waren kein Thema, man ließ sich in Ruhe. Die Landernten waren Sache der Heiligen Lanze. Es war fraglich, ob der Pakt überhaupt funktionierte. Immer wieder kam es zu Zwischenfällen, jüngst sogar zu einem offenen Gefecht, bei dem Gerüchten zufolge eine ganze Raffinerie in die Luft geflogen war. Einige Warlords, allen voran Alexander, vertraten die Meinung, dass es besser wäre, sich aus den Streitigkeiten rauszuhalten und die Dinge zu belassen, wie sie waren. Diese Weiber waren unberechenbar. Mit ihrer Fähigkeit, Kinder in die Welt zu setzen, saßen sie langfristig am längeren Hebel. Wenn sie beschlossen, den Männern das Licht auszuknipsen, dann gute Nacht.
Logan und Dachs erreichten die Gebietsgrenze des Warlords. Auf einen Holzpfahl war der Schädel eines Stiers aufgepflanzt: das Wappentier des Clans vom Steinernen Turm. Seine bleichen Knochen schimmerten in der Sonne.
Dachs blieb stehen.
Weiter darf ich nicht. Ich setze mich da drüben in den Schatten.
»Ich freue mich, wenn du wartest.« Logan versuchte, sich sein Unbehagen nicht anmerken zu lassen. »Wird auch bestimmt nicht lange dauern. In einer halben Stunde bin ich wieder da, dann können wir gemeinsam zurückgehen. Vater hat versprochen, eine Ziege übers Feuer zu hängen. Mal sehen, ob er sich noch daran erinnert.«
Hoffentlich. Ich habe Hunger wie ein Bär.
Logan klopfte seinem Bruder auf den Rücken, dann trat er in den Schatten des großen Gebäudes.
8
G wen saß am Küchentisch und rührte gedankenversunken in ihrer Teetasse. Der Anblick kam ihr heute so fremd vor. Die Zuckerdose, die Obstschale, das Blumengesteck – alles war an seinem Platz. Trotzdem wirkten sie, als würden sie nicht hierhergehören. Oder war sie es, die nicht hierhergehörte?
Ihr Blick blieb an der feinen Maserung der Buchenholzplatte hängen. An der rechten unteren Seite befand sich ein Astloch, das sie schon immer gemocht hatte. Es erinnerte sie an ein Auge, das einen anzusehen schien, egal, wo man stand.
Jeder Streifen ein einzelnes Jahr. Ob Bäume wohl eine Seele besaßen? Ob sie denken und fühlen konnten? Immerhin waren sie Lebewesen. Lebende, atmende Kreaturen, denen Stolz und Würde innewohnten. Manche Frauen unterhielten sich mit ihnen, sangen zu ihnen oder vertrauten ihnen ihre Geheimnisse an.
Ein Baum hatte es gut. Wie schön musste es sein, einfach so dazustehen und den Wandel der Jahreszeiten zu erleben.
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