Das verbotene Land 1 - Die Herrscherin der Drachen
Geißel ein Ende zu machen.
Eigentlich hatte Edward seine Reise geheim halten wollen, doch Gundersons Einwände hatten ihn überzeugt: »Wenn Ihr plötzlich nicht mehr da seid, mein König, ohne jede Erklärung, dann bricht hier eine Panik aus. Die Menschen werden glauben, Eure Majestät sei entsetzt davongelaufen. In jedem Fall würde Eure Abwesenheit dem König von Weinmauer Tür und Tor öffnen.«
»Aber«, hielt Edward dagegen, »wenn ich verkünde, dass ich einen diplomatischen Besuch in ein anderes Reich vorhabe, um dort wegen des Drachen Hilfe zu suchen, wird man erwarten, dass ich Wachen mitnehme, dazu meine Diener, Minister, Ratgeber, Sekretäre, die Falken und meine Ritter.«
»Unternehmt eine Pilgerfahrt«, riet Drakonas. »Selbst ein König darf eine solche heilige Reise allein unternehmen. Es wird geradezu erwartet.«
Dieser Gedanke reizte die romantische, abenteuerlustige Seite des Königs. In seinem Teil der Welt war das Zeitalter der Ritter vorüber. Ramsgate-upon-the-Aston konzentrierte sich mehr auf Handel und Geschäfte als auf das edelmütige Retten der Witwen und Waisen, das wahre Ritterlichkeit ausmachte. Doch diese Zeiten lagen noch nicht lange zurück und waren inzwischen ein beliebtes Thema, das von den Barden besungen und von Dichtern beschrieben wurde. Die Frauen seufzten, und die Männer bedauerten, dass Galanterie und ritterliche Heldentaten nichts mehr zählten.
Nicht einmal Ermintrude konnte Einwände dagegen erheben, als Edward ihr die Absicht mitteilte, eine heilige Pilgerreise in ein fernes Reich zu unternehmen, auch wenn sie sichtliche Zweifel hegte. Edwards Ritter flehten ihren König an, sie mitzunehmen. Manche fielen sogar vor ihm auf die Knie, doch Edward weigerte sich standhaft. Er musste diese Aufgabe allein meistern. Nur ihre Gebete und ihr Segen sollten ihn begleiten. Beides erhielt er von den Rittern und dazu lauten Beifall.
Als Drakonas nicht mehr zu befürchten hatte, dass der König es sich doch noch anders überlegen oder umgestimmt werden könnte, ging er zu Bett. Sie wollten früh aufbrechen. Er und der König würden vor Tagesanbruch losreiten. Auch Edward und seine Frau verließen den Saal an diesem Abend zeitig. Vermutlich lag der König jetzt bei Ermintrude und gab sich größte Mühe, ihr zu versichern, dass er heil und gesund wiederkehren würde.
»Ich frage mich«, murmelte Drakonas grinsend in sich hinein, während er sich auf seinem Strohsack ausstreckte, »ob Edward seiner Frau von dem hübschen Gesicht im Topas erzählen wird. Ich wette, das behält er für sich.«
6
Wenigstens hatten sie die Straße für sich allein und brauchten keine Angst vor Gesindel zu haben. Selbst die Räuber hatten dem Königreich den Rücken gekehrt, weil sie den Drachen fürchteten, wie Edward düster bemerkte. Die beiden ritten viele Meilen, ohne eine lebende Seele zu Gesicht zu bekommen.
Es war dem König gelungen, den Palast und die Stadt ohne großes Abschiedszeremoniell zu verlassen. Mit so wenig Aufwand hatte Drakonas gar nicht gerechnet.
Noch vor dem ersten Morgenlicht hatte Edward sein Pferd bestiegen. Ein Priester segnete und salbte den König. Auch die Familie war gekommen: Ermintrude mit tapferem, ermutigendem Lächeln und Sorge in den Augen, Prinz Wilhelm bitterlich enttäuscht, dass er seinen Vater nicht begleiten konnte. Die Ritter versammelten sich, und auch viele Menschen aus der Stadt trafen ein, denn das Gerücht von der Abreise des Königs hatte sich wie ein Lauffeuer verbreitet – oder »wie Drachenfeuer«, wie man neuerdings sagte. Es wurde nicht gejubelt, denn schließlich handelte es sich um eine Pilgerfahrt, aber viele murmelten Segenswünsche, als der König vorbeiritt. Drakonas war nicht dabei. Er wollte sich erst vor der Stadt zum König gesellen. Je weniger er auffiel, desto besser.
Gunderson begleitete den König zu Pferd bis zur Stadtmauer. Dort überließ er seinen Herrscher Drakonas mit hasserfülltem Blick. Ein letztes Mal wechselten sie einen Händedruck. Edward führte drei Pferde mit sich, ein Packpferd, ein Pferd, das er der Drachenmeisterin zum Geschenk machen wollte, und eines für Drakonas.
»Gunderson hat mir erzählt, dass Ihr zu Fuß gekommen seid«, meinte Edward und reichte dem wenig begeisterten Drakonas die Zügel. »Nehmt dies mit meinem Dank für alles, was Ihr getan habt.«
»Ich habe doch noch gar nichts getan«, wehrte Drakonas ab. Misstrauisch beäugte er das Pferd, das den Blick ebenso misstrauisch
Weitere Kostenlose Bücher