Das verbotene Land 2 - Drachensohn
Augen.
Die verriegelte Tür schwang auf. Evelina zog sich in den Käfig. Er schlug die Augen auf und sah sie an.
Sie wurde blass. Ihre Augen weiteten sich vor Entsetzen, und sie wich bis ans Gitter zurück.
Ihre Furcht bereitete Nem bittere Genugtuung, doch sie währte nicht lange. Dann malte sich Abscheu um ihre Lippen. Sie bewegte den Mund, doch er hörte nicht, was sie sagte, so laut toste das Blut in seinen Ohren. Er sah ihr nach, und selbst als sie schon gegangen war, brannte noch ihr Bild vor seinen Augen, als hätte er zu lange in die Sonne gestarrt.
»Seht selbst, Schwester.« Federfuß nahm eine Ecke des Tuchs und zog es mit einem Ruck zurück. Als erfahrener Schauspieler konnte er auf solche theatralischen Gesten nicht einmal verzichten, wenn sein Lebensunterhalt auf dem Spiel stand. Schwungvoll deutete er auf Nem und verneigte sich. »Wie Ihr seht, kein Dämon. Nur ein Dieb, und nicht einmal ein guter.«
Nem stützte sich auf den Ellenbogen hoch.
Die Mönche scharten sich um den Wagen. Das Licht der Fackeln blendete so, dass Nem mit einer Hand seine Augen abschirmte. Zuerst sah er nur Flackern und Schwärze, unscharfe Gestalten, die im rauchigen Dunst miteinander verschmolzen. Dann schärfte sich sein Blick. Jetzt unterschied er einzelne Gesichter, erkannte Federfuß mit seinem schmierigen Lächeln, die hochmütige Evelina und den ängstlichen Ramone.
Die Nonne näherte sich dem Käfig. Ihre Hände lagen in ihren Ärmeln verborgen. An dem Eisengitter machte sie Halt, direkt gegenüber von Nem, der auf Armeslänge von ihr getrennt war. Einer der Mönche hielt eine Fackel, deren Licht sie direkt beschien.
Nem kannte die Nonne. Er wusste nicht, woher, aber er kannte sie. Ihre Gesichtszüge kamen ihm ebenso bekannt vor wie ihre Augen und der Klang ihrer Stimme. War er ihr auf dem Markt oder in der Stadt über den Weg gelaufen? Unwahrscheinlich. Ihr Gesicht weckte nicht die Erinnerung an Verkaufsstände oder Stadtmauern. Es beschwor Nacht und Einsamkeit, Blut und Tod herauf.
Wie gebannt starrte Nem die Schwester an, deren Lippen jetzt Worte formten, die nur Nem hörte und sah.
»Der Sohn des Drachen.«
Da erkannte er sie.
Die Nacht auf der Straße. Bellona zusammengeschlagen, blutend, im Sterben liegend. Die Schwester in der schwarzen Robe, die ihn nicht losließ. Seine Wut, sein gepeinigtes Entsetzen, das ihn durchraste, bis es aus seinen Fingerspitzen barst. Der entsetzliche Schrei und der Ekel erregende Gestank nach verbrannten Haaren und Fleisch. Dazu die Befriedigung, getötet zu haben.
Die Schwester lächelte Nem an, ein kaum merkliches Lächeln, das nur ihm zugedacht war. Mit schneller Bewegung griff sie in den Käfig und langte nach der Decke über Nems Beinen. Auch sie wusste offenbar einen guten Auftritt zu schätzen. Sie zögerte nur so lange, dass Federfuß der kalte Schweiß ausbrach, dann gab sie der Decke einen Ruck.
Der Stoff glitt von Nems Beinen. Die Mönche hielten die Fackeln hoch, damit alle es sehen konnten.
Im rauchigen Licht glitzerten die Schuppen und die weißen Krallen an den langen Zehen.
Die Nonne drehte sich zu Federfuß um. »Ihr habt nicht nur einen Dämon beherbergt, sondern auch noch versucht, diesen Umstand zu verbergen. Es kann nur einen Grund dafür geben.« Sie klang bedrückt. »Ihr habt Eure Seele dem Teufel verschrieben, mein Sohn.«
»Und dabei habe ich ein verdammt gutes Geschäft gemacht, ehrwürdige Schwester«, gab Federfuß lachend zurück. Im Augenwinkel sah er, dass seine Männer mit den Keulen in der Hand hinter die Mönche schlichen. »Zwanzig Taler hat das Monster mir heute Nacht eingebracht.«
Evelina klatschte. »Bravo«, rief sie spöttisch. »Bravo, mein Schatz.«
Mit wachsender Kühnheit schob Federfuß herausfordernd das Kinn vor. »Ich würde selbst den Teufel ausschlachten, wenn ich ihn einsperren könnte.«
»Gottloser Mann!« Die Stimme der Nonne hallte wie ein Donnergrollen durch das Tal. »Eure Seele ist verloren! Wollt Ihr denn auch noch die Seelen anderer ins Verderben reißen?«
Federfuß erhob die Stimme. »Wollen wir heute Nacht unsere Seelen retten, Jungs, oder unseren Geldbeutel?«
Unter drohendem Gemurmel hoben seine Schläger ihre Waffen und rückten näher. Die Mönche schienen die Gefahr gar nicht zu registrieren. Die Nonne legte Federfuß eine Hand auf die Brust.
»Ich fordere den Teufel auf, aus Euch auszufahren«, sagte sie leise.
Federfuß wollte die Hand von seinem Herzen schlagen. Doch seine Hand zuckte nur.
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