Das verbotene Land 2 - Drachensohn
zu schluchzen. Verzweifelt schlug sie mit der freien Hand auf ihn ein, doch er hielt sie fest. Seine Drachenaugen sahen ihr Fleisch schimmern wie Mondlicht in der Finsternis.
Es war ein angenehmer Gedanke: Ich kann sie haben. Ich kann mich an ihr rächen. Sie wollte, dass ich sie begehre, und dann hat sie mich ausgelacht.
Doch dann drängte sich ein weiterer Gedanke auf: Welche groteske Kreatur würde ich zeugen? Was wäre das für ein unglückseliges Kind, und welches unglückselige Leben würde es erwarten?
Von plötzlicher Übelkeit erfasst stieß Nem Evelina von sich. Sie stolperte, landete auf allen Vieren und begann stöhnend zu schluchzen.
Er kehrte ihr den Rücken zu und ging davon. Plötzlich wurde er von hinten getroffen. Er schaute zurück. Sie hatte ihm einen Klumpen Erde nachgeworfen. Wie ein Tier hockte sie auf dem Boden und schrie ihm wüste Flüche nach.
Nem ging den Mönchen nach. Die Schwester warf ihm einen Blick zu, als er sich neben ihr einreihte.
»Du willst sie nicht?«
Nem schüttelte den Kopf. Ihm war speiübel.
Die Nonne gab Bruder Mikal einen Wink. »Töte sie.«
»Nein, Halt!«, sagte Nem eilig. »Tötet sie nicht.«
»Warte, Mikal!« Die Schwester reagierte sofort. »Der Sohn des Drachen hat gesprochen. Wir gehorchen.« Sie wandte sich Nem zu. »Was sollen wir mit ihr machen?«
»Lasst sie laufen.« Nem schaute zu dem bleichen, schlotternden Mädchen zurück. »Was kann sie schon anrichten?«
»Eine ganze Menge«, erwiderte die Nonne gemessen.
Sie schien lautlos mit jemandem zu verhandeln. In ihren Augen flammte ein Funke auf, der langsam wieder verlosch.
»Wenn wir sie nicht töten«, meinte sie nach kurzer Pause, »müssen wir sie mitnehmen.«
Nem verzog das Gesicht. »Ich will sie nicht.«
»Sie weiß zu viel«, erklärte die Nonne in einem Ton, der jede weitere Diskussion ausschloss. »Sie würde reden. Nehmt sie mit.«
Als Evelina sah, dass die Mönche auf sie zuhielten, wollte sie davonlaufen. Doch sie verfing sich in ihren eigenen Röcken und fiel hin. Die Mönche packten ihre Arme. Evelina stieß einen erstickten Schrei aus, dann sackte sie in sich zusammen. Ihr Körper wurde schlaff.
»Sie ist ohnmächtig geworden«, meldete Bruder Mikal.
»Umso besser«, stellte die Schwester fest. »Dann macht sie uns weniger Ärger.« Sie deutete auf einen Handkarren, in dem die Truppe Bier transportiert hatte. »Legt sie dort hinein und nehmt sie mit.«
Sie warfen Evelina auf den Karren. Nem gab sich äußerlich gleichgültig, doch wenn er glaubte, die Schwester würde nicht hinsehen, warf er besorgte Blicke auf das Mädchen.
Auf Befehl der Schwester schnallte einer der Mönche ein Bündel ab, aus dem er eine braune Kutte hervorzog, die denen der übrigen Mönche glich. Er reichte Nem die Kutte, damit dieser seine Blöße bedecken konnte. Man hatte ihm auch Lederstiefel mitgebracht, um die Klauenfüße zu verbergen.
Nem schob die Arme in die losen Ärmel der Kutte und streifte sie über den Kopf. Das raue Tuch fiel in lockeren Falten über seine nackte Haut und über die Schuppen. Nachdem er auch die Stiefel angezogen hatte, richtete er sich zu voller Größe auf. Jetzt fühlte er sich wohler.
»Ich brauche mein Schwert«, erinnerte er sich. »Vermutlich ist es in Ramones Wagen.«
Die Schwester schüttelte den Kopf. »Du gibst dich als Mann des Friedens aus. Ein Schwert kommt gar nicht in Frage. Ist das etwa ein Problem?«, fragte sie angesichts von Nems Stirnrunzeln. »Du brauchst schließlich keine Waffe aus Stahl, um jemanden zu töten, Drachensohn.«
»Ich weiß nicht, wovon Ihr redet, Schwester«, gab Nem ungerührt zurück. Achselzuckend fügte er hinzu. »Wenn ich schon kein Schwert tragen darf, will ich wenigstens ein Messer.«
Die Schwester sah ihn mit strenger Miene an.
Nem hielt ihrem Blick stand.
Schließlich lenkte sie ein: »Wenn du unbedingt willst. Bruder Mikal, hol dem Drachensohn ein Messer.«
»Wohin gehen wir?«, wollte Nem wissen. Das Lager der unglücklichen Wandertruppe sollte bald hinter ihnen liegen. Insbesondere wollte er die schmierigen Aschehaufen nicht mehr sehen, in denen bereits die ersten mitleidlosen Aasfresser herumstöberten.
»Dein Vater will dich endlich kennen lernen«, antwortete die Nonne.
Damit war klar, dass Nem das Ziel nicht erfahren sollte. Er schlug die Kapuze über den Kopf, damit er den Wagen, den Käfig und die Asche ausblenden konnte. So wie der Schatten seines Vaters die andere Stimme ausblendete, die von
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