Das verbotene Land 3 - Drachenbruder
die Wolken ab und hinterließen einen reingewaschenen, blauen Himmel, von dem die Sonne herablachte, die zu der Zeit, als sie Burg Aston erreichten, schon hoch über den Bäumen stand. Prinz Wilhelm nahm sie nicht selbst in Empfang, denn er war mit seinen Soldaten ausgeritten. Er hatte Befehle hinterlassen, wie sein Vater, sein Bruder und deren Gefolge aufgenommen werden sollten. Diese Befehle führte seine Frau in beispielhafter Weise aus. Knechte nahmen die Pferde in Empfang, die sich nach der anstrengenden Reise über einen warmen Stall freuten. Die Ritter genossen eine herzhafte Mahlzeit, und der König strahlte über das Wiedersehen mit seiner Schwiegertochter und spielte mit seinen Enkeln. Dennoch herrschte eine angespannte Atmosphäre. Als ein Bote eintraf, der auf dampfendem Pferd in den Hof ritt, lief ihm das halbe Schloss entgegen.
»Was gibt es Neues?«, fragte der König, der das Pferd selbst am Zügel hielt.
»Prinz Wilhelm bittet mich, Euch die folgende Botschaft auszurichten, Majestät«, keuchte der Ritter. »Mein Herr sagt: ›Die Sonne scheint. Der Fluss fließt. Die Vögel singen. Unsere Bogenschützen schnarchen unter den Bäumen, und die Soldaten verspielen ihren Sold beim Würfeln.‹«
Edward hütete sich, Markus anzusehen. Die umstehenden Ritter warfen einander Blicke zu, verdrehten die Augen und gingen kopfschüttelnd davon. Der König bat den Boten herein. Markus folgte etwas langsamer. Als er kam, waren der Bote und der König bereits über eine Karte gebeugt.
»Seine Hoheit hat diese Stellung gewählt, Majestät. Falls feindliche Truppen den Fluss überqueren wollen, halten wir diesen Ort für den wahrscheinlichsten. Er hat Späher ans andere Ufer geschickt, die nach dem Feind Ausschau halten sollen. Wir sind stromaufwärts und stromabwärts gelaufen, aber ich schwöre beim Barte meines Vaters, Majestät, dass es dort keine Stadt gibt. Es gibt auch keine Armee, die sich zum Angriff rüstet. Dort gibt es nur Bäume und Sträucher und Hirsche, die zum Trinken ans Wasser kommen.«
Markus setzte sich in einer Ecke auf einen Stuhl. Von Zeit zu Zeit warf sein Vater ihm einen Blick zu, als wolle er ihn zum Sprechen auffordern, aber Markus schwieg beharrlich. Er wusste nur zu gut, was die Kundschafter gesehen hatten, denn ihm war es ebenso gegangen – bis Grald den Zauberschleier angehoben hatte.
Edward erklärte, er würde sich gern persönlich ein Bild von dem Gelände und von der Truppenaufstellung machen, worauf der Mann ihm anbot, ihn am anderen Morgen dorthin zu führen.
Nachdem der Bote gegangen war, wandte sich Edward an Markus.
»Ich weiß, dass du von der langen Reise müde bist, mein Sohn. Außerdem hast du vorher schon viel durchgemacht. Vielleicht willst du lieber hierbleiben und dich ausruhen.«
Dieses Angebot war nett gemeint, doch es traf Markus wie ein Amboss, den man von der Schlossmauer kippte.
»Ich begleite dich, Vater«, sagte er knapp, machte kehrt und ging davon, ehe Edward ein weiteres Wort sagen konnte.
33
»Tod von vorne, Tod von hinten, Tod von oben, Tod von unten. Kein Entrinnen, Königssohn. Es gibt kein Entrinnen.«
Die ganze Nacht hockte Markus auf seinem Stühlchen in seinem inneren Raum und hörte zu, wie der Drache durchs Schlüsselloch zischte. Immer und immer wieder. Tod von vorne, Tod von hinten, Tod von oben, Tod von unten. Kein Entrinnen, Königssohn.
Die Stimme klang grob und einschüchternd. Sie sollte ihn schwächen. Und sie hatte Erfolg.
Mit dem dumpfen, trägen Gefühl, das die Müdigkeit bringt, stand Markus morgens wieder auf. Der Blick durch die Schießscharten zeigte im Osten die Morgenröte. Die anderen Burgbewohner waren bereits auf den Beinen, denn der König hatte befohlen, bei Tagesanbruch aufzubrechen. Die Stimme des Drachen klang in Markus nach. Er schloss die Augen und drückte seinen schmerzenden Kopf an die Mauer.
Die Worte »Tod von vorne, Tod von hinten, Tod von oben, Tod von unten« hatten sich in sein Gehirn eingenistet, wo jetzt die unheilvolle Brut dieser Drohung schlüpfte und in ihm herumkroch.
Vor ihnen wartete die Drachenarmee. Über ihnen lauerte der Drache. Tod von hinten und Tod von unten. Hatte der Feind sie umzingelt? Waren sie vom Schloss und den Kanonen, die sie retten sollten, abgeschnitten? Entsprach diese Warnung überhaupt der Wahrheit, oder wollte der Drache sie auf diese Weise schlagen, ehe der Kampf überhaupt losbrach?
Da wurde zum Aufbruch geblasen. In schwerer Rüstung mit Kettenhemd und
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