Das verbotene Land 3 - Drachenbruder
nur daran denken, solche Kräfte zu entfesseln!«
»Möchtet Ihr einen Schluck Wein, Herrin?«
Anora bemerkte das blonde Mädchen, Evelina, das ihr einen Kelch hinhielt.
Eigentlich wollte sie nichts trinken, aber da alle anderen einen Kelch in der Hand hielten, wollte sie auch nicht durch eine Ablehnung die Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Also nahm sie den Wein an, setzte ihn an und trank insgeheim auf ihren Sieg. Anschließend würde sie gehen.
Da erfuhr Anora, wie unberechenbar Menschen wirklich sein können.
Der Schmerz begann im Magen – ein scharfer, stechender Schmerz, wie ihn ihr Menschenkörper noch nie verspürt hatte. Er war so heftig, dass Anora hörbar nach Luft schnappte und ihren Bauch hielt. Dann ließ eine neue Welle, schlimmer als die erste, sie nach vorn einknicken. Ihr Körper begann zu zittern. Ein grässlicher Geschmack erfüllte ihren Mund. Schaum trat auf ihre Lippen. Das blonde Mädchen, das Anora den Wein gereicht hatte, fing sie auf.
»Herrin! Was ist mit Euch?«, rief Evelina.
Mit sanften Armen legte Evelina den Körper der Lady lsabel auf den Boden. Anora brachte kein Wort heraus. Ihre Kehle brannte, und ihre Zunge schwoll an. Sie starrte in das Gesicht des Mädchens, welches sie nun im Schoß hielt. Obwohl es eine erschrockene Miene machte, lächelten Evelinas Augen.
»Du bekommst ihn nicht!«, flüsterte Evelina, während sie sich scheinbar hilfsbereit über die leidende, junge Frau beugte. »Er gehört mir, und so wird es auch bleiben. Keine Angst, Herrin. Das Gift wirkt sehr schnell. Ihr werdet nicht lange leiden.«
Vergiftet! Anoras Gedanken überschlugen sich. Die Menschenfrau hat mich vergiftet! Dieser Körper stirbt!
Wenn der Körper starb, würde der wahre Körper des Drachen zurückbleiben. Das war unausweichlich. Schon jetzt fiel ihr das Atmen schwer. Ihre Glieder zuckten in wilden Krämpfen.
Alle Anwesenden scharten sich aufgeregt um sie. Einige riefen nach einem Arzt, andere versuchten, ihr mehr Luft zu verschaffen, wieder andere glaubten, sie sei von einem Pfeil getroffen, und liefen zum Fenster, um zu sehen, wer geschossen hatte, während diejenigen, die am Fenster gestanden hatten, herbeiliefen, um zu sehen, was passiert war. Inmitten des allgemeinen Aufruhrs spürte Anora, dass ihre Drachengestalt sich anschickte, den sterbenden Körper zu verlassen. Gleich würden Klauen aus ihren zarten Händen sprießen. Die weiche, helle Haut würde sich mit Schuppen überziehen. Der lächelnde Mund würde länger werden und sich mit messerscharfen Zähnen füllen. Sie konnte nichts dagegen tun, sondern musste es hinnehmen. Aber sie musste rasch entscheiden, was nun zu tun war, denn sie war in Gefahr. Die Rückverwandlung in einen Drachen dauerte einige Zeit, und in dieser Zeit war sie verwundbar.
Ihre einzige Waffe war die Magie, denn sie konnte sowohl in Menschengestalt als auch als Drache zaubern, auch wenn sie als Drache weitaus mächtiger war. Aber selbst dafür musste sie nun warten, bis der Drache deutlicher zum Vorschein kam.
Die Menschen würden wahrscheinlich so schockiert sein, wenn der sanften, liebevollen lsabel ein Drachenkopf und ein Schwanz wuchsen, dass sie kaum klar denken, geschweige denn reagieren konnten. Der Einzige, der ihr gefährlich werden konnte, war Markus, und den hatte sie nach wie vor in den Klauen.
All das ging Anora durch den Kopf, denn während ihr Menschengeist zügig dem Tod entgegenglitt, blieb ihr Drachenverstand kalt und logisch. Da spürte sie, wie Evelinas Hand unter lsabels lange Haare glitt, die sich während der Zuckungen gelöst hatten. Unter der rotbraunen Masse löste das Mädchen die Smaragdohrringe von lsabels Ohren. Dann wanderte ihre Hand an lsabels Nacken, wo sie die goldene Kette berührte.
»Ist doch schade, wenn Euer Schmuck mit Euch begraben wird, Herrin«, flüsterte Evelina.
Zu spät begriff Anora, was das Mädchen vorhatte. Der Drache wurde von einer lähmenden Furcht ergriffen. Verzweifelt versuchte Anora, ihre Rivalin aufzuhalten, aber ihr Menschenkörper lag im Sterben und war jetzt nutzlos, und der Drachenkörper kam gerade erst zum Vorschein.
Die Kette des Medaillons mit dem Menschenherz riss und mit ihr die Magie, die nun wie eine Schlange, der man den Kopf abgeschlagen hatte, wild um sich peitschte. Anora hatte keine Gewalt mehr über sie.
Während die Magie in ihr Amok lief, verwandelte sich Anora wieder in einen Drachen, aber diesmal verlief die Verwandlung nicht wie erwünscht. Sie hatte keine
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