Das verbotene Land 3 - Drachenbruder
Kontrolle darüber. Einige Teile ihres Körpers veränderten sich, andere hingegen nicht. Wenn sie das Medaillon nicht wiederbekam – und zwar bald –, konnte sie in dieser Gestalt festsitzen – halb Mensch, halb Drache.
Wie eines von Gralds Monsterkindern, dachte sie wütend. Sie musste das Medaillon wiederhaben, das Herz des Menschenmädchens freilassen und damit sich selbst befreien.
Mit geiferndem Drachenmaul stürzte sich Anora auf das verwünschte Menschenkind, das sie in diese Situation gebracht hatte.
Evelina hatte gerade das Medaillon an ihrem Busen bergen wollen, als eine riesige Klaue, die aus der Hand von Lady lsabel wuchs, nach ihr schlug. Ein schrecklicher Monsterkopf auf einem Menschenhals versuchte, ihr den Arm abzubeißen.
Das Mädchen kreischte los, holte einmal Luft und kreischte weiter. Mit weit aufgerissenem Mund und immer noch kreischend taumelte es zurück, stolperte über seine langen Röcke und fiel.
Im Nu war Evelina wieder auf den Beinen, halb kriechend, halb zappelnd, rutschend und fallend und immer noch schreiend. Doch selbst während sie verzweifelt versuchte, einem furchtbaren Tod zu entgehen, blieb Evelina Ramones Tochter.
Sie umklammerte das Medaillon mit fester Hand.
Anora hatte jetzt ein Drachenbein und ein Menschenbein, einen Drachenarm und einen Menschenarm. Ihr Kopf war weder Drache noch Mensch, sondern eine groteske Mischform. Drachenschuppen ragten aus Menschenfleisch, Drachenzähne aus einem Menschenmund. Auf dem Menschenrücken wuchsen Drachenflügel, die schlaff auf dem Boden schleiften. Schwankend warf sich Anora auf Evelina und griff nach der Hand mit dem Medaillon, das sie ihr abzuringen suchte.
Evelina kämpfte wie eine in die Ecke getriebene Wildkatze. Sie fauchte und spuckte, heulte, trat und biss auf das grauenhafte Wesen ein, das sie gepackt hatte.
Anora drückte zu. Wenn nötig, wollte sie dem Mädchen die Hand brechen. Evelina schrie auf, und Anora bekam das Medaillon zu fassen. Als sie es wegreißen wollte, durchfuhr ihren Körper ein grausamer Schmerz. Sie starrte nach unten. Aus ihrem Bauch ragte eine Schwertspitze, von der ihr eigenes Blut tropfte.
In ihrem verzweifelten Bestreben, das Medaillon zurückzuholen, hatte Anora alles andere vergessen.
Auch Markus.
Der Prinz zog das Schwert aus dem Drachenrücken. Er sah das Ungeheuer fallen, wusste aber nicht, ob er es wirklich getötet hatte. Andererseits blieb ihm keine Zeit, es herauszufinden.
»Bringt das zu Ende!«, rief er den Rittern zu, die fassungslos zugesehen hatten. Nachdem er das blutige Schwert seinem Besitzer zugeworfen hatte, rannte Markus zu den gewaltigen Flügeltüren, die er dröhnend gegen die Wand warf. Er eilte die Marmortreppe hinab in den Hof.
»Nicht feuern!«, brüllte er auf die Mauern hinauf. »Vater! Nicht feuern!«
Verblüffte Gesichter wandten sich ihm zu. Manchen blieb der Mund offen stehen. Hier und da versuchte man, ihn festzuhalten. Aber Markus stieß alle beiseite, ohne sie zu beachten. Er rannte weiter und brüllte aus voller Kehle: »Nicht feuern! Um Gottes willen, Vater, nicht feuern!«
Sein Ton war so inständig, dass viele mit einfielen und seinen Ruf wiederholten, »Nicht feuern! Nicht feuern!«, obwohl sie keine Ahnung hatten, weshalb.
Der Prinz jagte die Treppe zur Mauer empor, wo die Kanonen nebeneinanderstanden und auf den Feind zeigten. Die Männer wichen zurück, um ihn durchzulassen. Wer nicht schnell genug verschwand, wurde von Markus weggeschubst. Als die Schlinge an seinem verletzten Arm ihn behinderte, riss er sie ab. Angst und Eile waren stärker als der Schmerz. Mit einem Blick erfasste er, dass die Drachenkrieger jetzt in Reichweite waren. Gleich würde der König den Befehl zum Schießen erteilen.
Edward stand ein Stück weiter, aber Markus sah dennoch, wie die Lippen seines Vaters sich bewegten, weil sie das Kommando aussprechen wollten, auf das die Kanoniere die Lunte zünden würden. Er sah auch, wie sie sich dazu anschickten, weil sie den Befehl schon erahnten.
Ebenso sah er das Bild, das der Drache entworfen hatte – die Tentakel der Magie, die sich wie Taue um die Füße der Kanonen wanden, von einer zur anderen, um die Rohre, über die Räder und über den Boden bis hin zu dem Steinbunker, wo das Schießpulver aufbewahrt wurde. Markus sah die Flammen von den Kanonen auf diese Tentakel übergreifen, die sich daran entlangwanden. Sie leuchteten blauweiß auf, das Licht griff von einer Kanone auf die nächste über, bis das ganze
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