Das verbotene Land 3 - Drachenbruder
seinen eigenen Sohn verweisen können, der dieselbe Magie beherrschte. Wenn er in der Nacht schlaflos wach lag, fragte Edward sich mitunter, ob es nicht besser gewesen wäre, sich offen und ehrlich zu Markus und seiner Magie zu bekennen. Aber irgendwann beschloss er, dass es keinen Unterschied gemacht hätte. Die Ungebildeten und Abergläubischen hätten eher auch Markus für einen Dämon gehalten.
Man machte die Kanonen schussbereit. Die Schützen bezogen Stellung. Das Schießpulver, das für gewöhnlich abseits des Schlosses und seiner Wirtschaftsgebäude in einem eigens dafür angelegten Keller lagerte, wurde herbeigeschleppt. Edward hatte die Errichtung eines kleinen Bunkers neben den Kanonen angeordnet, in dem sich jetzt die Pulverfässer stapelten. Neben den Waffen und am Bunker standen Wassereimer bereit, um jeden Funken rasch zu löschen.
Edwards Kanonen unterschieden sich von den meisten Kanonen anderer Länder. Seine sollten nicht nur Bodentruppen bekämpfen, sondern auch die Drachen in der Luft. Deshalb konnte man sie aufrichten und damit nach oben feuern. Da sie auf einem drehbaren Tisch aufsaßen, konnte man sie auch drehen, um beweglichen Zielen zu folgen. Heute waren sie auf den Boden gerichtet, denn Edward hielt die Drachenkrieger für den wichtigsten Gegner. Falls ein Drache auftauchte, konnte man sie immer noch verstellen.
Die Sonne näherte sich dem Höchststand. Alles war klar zum Gefecht. Bogenschützen und Bewaffnete säumten die Mauern. Jedem war seine persönliche Aufgabe zugeteilt, vom Bereitlegen der Kanonenkugel bis hin zur Ausrichtung des Laufs auf sein Ziel.
»Da kommen sie!«, rief ein junger Bursche mit Adleraugen, den man auf dem höchsten Turm postiert hatte. »Sie marschieren über die Felder!«
Der Feind überflutete das Land. Die Schuppenrüstungen glitzerten wie der Fluss neben dem Schloss. Die Armee marschierte direkt auf das Schloss zu und umging dabei die Stadtmauern. Sie strömte in die Täler und die Berge herauf. Aber die Krieger ließen sich Zeit. Sie griffen noch nicht an. Diesmal lachte niemand über ihre leeren Hände. Einige der Anwesenden hatten an der verhängnisvollen Schlacht von Aston teilgenommen und selbst gesehen, wie die leeren Hände der Dämonenkrieger den Tod brachten. Diejenigen, die nicht dabei gewesen waren, kannten die Erzählungen. Alle beobachteten unter grimmigem Schweigen, wie die Armee vorrückte. Nur hier und da war das nervöse Klappern einer Rüstung zu hören, das Knistern der Fackeln oder ein gelegentliches Gebet.
Noch befand sich die Armee außer Reichweite der Kanonen. Der König selbst würde den Befehl zum Feuern geben.
»Achtung«, sagte der Kommandant der Kanoniere.
Im Palast hatten sich die wenigen Zurückgebliebenen im großen Saal versammelt, wo die Ritter sie beschützen konnten, falls die Mauern fielen. Königin Ermintrude war bei ihnen. Edward hatte seine Frau angefleht, ins Schloss ihres Vaters nach Weinmauer zu fliehen, aber die Königin hatte dieses Ansinnen empört zurückgewiesen.
»Wie würde das denn aussehen? Soll ich etwa zu Papi laufen und ihm vorjammern, dass mein Mann mich nicht beschützen kann?«
»Kann er ja auch nicht«, hatte Edward bedrückt geantwortet.
»Unsinn.« Ermintrude hatte ihm die Hand gedrückt und ihn umarmt. »Wir haben die Kanonen und tapfere Soldaten.«
Dann hatte sie seufzend hinzugefügt: »Wir haben schon andere schlechte Zeiten durchgestanden, lieber Edward, und wir haben es immer gemeinsam geschafft. Dieses Mal wollen wir es ebenso halten.«
»Ich hoffe, du behältst Recht, mein Herz.« Edward hatte sie auf die Wange geküsst und ein Lächeln geerntet. Zu seiner Freude waren sogar ihre Grübchen dabei zu sehen. Eines allerdings musste er noch loswerden: »Wenn mir etwas zustoßen sollte, werden alle erwarten, dass die Königin die Führung übernimmt.«
»Ich weiß«, hatte Ermintrude mit ruhiger Stimme gesagt, obwohl ihre Grübchen wieder verschwunden waren. »Also sorg dafür, dass dir nichts geschieht, Edward.«
Jetzt stand die Königin am Fenster und schaute hinaus. Sie beobachtete Edward, der überall zugleich war. Wiederholt baten ihre Wachen sie, vom Fenster wegzutreten, weil sie in der Saalmitte sicherer wäre, doch Ermintrude ignorierte sie. Sie war wütend darüber, dass sie im Schloss festsaß und nicht sehen konnte, was draußen vor sich ging. Viel lieber wäre sie selbst auf den Mauern gewesen. Aber dann würde Edward nur toben, und außerdem konnte sie Markus nicht
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