Das verbotene Land 3 - Drachenbruder
gehört«, antwortete Leopold ausweichend. »Maristara wird uns sagen, was wir wissen müssen. Spekulationen sind nur Zeitverschwendung. Wir haben zu tun.«
Ihre Stimmen verklangen.
Eine Weile rührte sich niemand mehr.
Nem kam gebückt hoch und winkte. »Leise«, warnte er.
Doch Herzeleid hatte Schwierigkeiten, Draga zu tragen. Das Kind war so gebannt von den tanzenden Farben in seinem Geist, dass es überhaupt nicht reagierte. Normalerweise hätte ihren starken Armen eine solche Bürde nichts ausgemacht, aber heute war sie von der Angst geschwächt. Als Nem sah, wie sie zu kämpfen hatte, nahm er ihr den Jungen ab. Wie eine schlaffe Puppe hing das Kind in seinen Armen.
»Was hast du mit ihm gemacht?«, staunte Nem.
»Ein Zauber«, teilte Herzeleid ihm mit. »Damit belegen die Mönche die Brüder, die außer Kontrolle geraten.«
»Jedenfalls funktioniert es«, grinste Nem. Er legte sich das Kind wie einen Sack Kohle über den Arm und wandte sich zum Gehen.
Seine Schwester rührte sich nicht.
»Herzeleid, wir müssen gehen – jetzt!«
Sie griff nach Dragas schlaffer Hand.
»Ich weiß nicht, ob ich das Richtige tue«, antwortete sie. »Das hier ist unser Zuhause.«
Durch den Gang hallten Schreie, die Schreie von Menschenfrauen – den Müttern. Dann brach das Geschrei plötzlich ab. Eine Gnade.
Kurz darauf erschütterte eine Explosion den Gang. Herzeleid roch scharfen Schwefeldampf und sah innerlich die Illusion von sich und den anderen Kindern vor sich, die friedlich in ihrer Höhle schliefen. Die Krieger standen auf dem Gang. Im Schutz der Frauen griffen die Männer an, schleuderten ihre Magie auf die Monster und töteten das Grässliche dort.
Ihr kamen die Tränen. Sie konnte nichts dagegen tun. Es waren Menschentränen, denn Drachen weinen nicht.
»Es ist sinnlos. Warum sollen wir nicht gleich hier sterben? Schließlich sind wir Monster.«
»Sind wir das, Herzeleid?« Nem wies auf den kleinen Jungen, der fasziniert seine kreiselnden Träume betrachtete. »Ist er eines?«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich finde das nicht. Aber du. Und alle anderen da draußen. Die Menschen in ihrer Menschenwelt.«
Nem nahm ihre Hand. »Ich habe mich geirrt. Das hast du mir klargemacht. Kommst du jetzt mit?«
In die Welt hinaus. Eine Welt, die sie noch nie gesehen hatte.
Nem machte seine Gedanken weit auf, um ihr die Außenwelt zu zeigen.
Eine Welt, die nach grünen Pflanzen roch, wo der Himmel blau war und das Sonnenlicht schmerzhaft hell.
Es würde sie blenden, die Drachenkinder, bis sie sich daran gewöhnt hatten.
Aber in dieser Welt gab es Platz zum Fliegen.
»Ich komme«, willigte Herzeleid ein.
29
Eine zuschlagende Tür ließ Markus abrupt erwachen. Panik keimte in ihm auf, denn er hatte das Gefühl, dass der Drache ihm nachjagte. Sein Herz raste. Verständnislos starrte er seine Umgebung an. Er hatte keine Ahnung, wo er sich befand. Durch ein Loch in der Wand, das mit geölter Haut verhängt war, strömte Sonnenlicht herein. Draußen zwitscherten die Vögel. Er sah sich um. Wände und Decke wirkten ganz fremd. Langsam beruhigte sich sein hämmerndes Herz. Er schloss die Augen und atmete tief durch.
Der Drache war fort. Alle Drachen waren fort. Nur die Erinnerungen blieben. Teils schrecklich, teils erstaunlich umschlangen sie ihn noch immer. Er hätte sich einreden können, alles geträumt zu haben, aber er konnte noch immer alles mit beängstigender Klarheit sehen und fühlen. Wie Nem auf dem Boden lag und der Drache sich über ihm auftürmte. Der goldene Glanz des Medaillons. Die Drachenfrau in ihrer eigenartigen Schönheit, deren silberne Schuppen im Licht seiner Gedanken leuchteten.
»Dein Bruder ist in Sicherheit«, teilte Drakonas ihm mit. »Jedenfalls vorläufig.«
Der Mann stand in dem kleinen Raum, wo Markus ihm zuvor schon begegnet war. Er hielt seinen Stab in der Hand. Die Stiefel waren vom Staub der vielen Straßen bedeckt, auf denen Drakonas schon gewandert war.
»Wo ist Nem?«, wollte Markus wissen.
»Der geht seinen eigenen Weg. Ich habe keine Ahnung, wohin der ihn führen wird«, antwortete Drakonas. »Aber das darf nicht deine Sorge sein, Markus. Dein Weg liegt vor dir. Er wartet auf dich. Kehr, so schnell du kannst, nach Hause zurück. Reite, als wäre der Teufel hinter dir her – denn das ist er. Grald mag tot sein, aber seine Pläne zur Unterwerfung der Menschheit bestehen weiter. Du hast die Legionen von Drachenburg gesehen. Sie rüsten sich in diesem Augenblick für den
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