Das verbotene Reich: Thriller (German Edition)
waren einmal Bordelle gewesen, die von Kopenhagens Matrosen besucht wurden. Heute prägten Künstler und junge Selbständige die Gegend.
Die Frau verschwand um eine weitere Ecke.
Er eilte dorthin, wo sie abgebogen war, doch eine große Mülltonne versperrte ihm den Weg. Er spähte an dem Kunststoffbehälter vorbei und erblickte eine schmale Gasse mit baufälligen Backsteinwänden zu beiden Seiten.
Die Frau trat auf einen Mann zu. Er war klein, mager und nervös. Sie blieb stehen und reichte ihm den Umschlag. Der Mann riss ihn auf und schrie dann etwas auf Chinesisch. Malone brauchte nicht zu verstehen, was er sagte, um zu wissen, worum es ging. Der Mann hatte offensichtlich etwas Bestimmtes erwartet, und das war verdammt nochmal kein Buch.
Er schlug die Botin ins Gesicht.
Sie wurde zurückgeschleudert und musste um ihr Gleichgewicht kämpfen. Ihre Hand fuhr zu der getroffenen Wange.
Der Mann griff unter seine Jacke.
Eine Pistole tauchte auf.
Malone kam ihm zuvor, griff nach seiner Beretta und rief: »He!«
Der Mann fuhr herum, erblickte Malone mit seiner Waffe, packte die Frau und setzte ihr die Pistole an den Hals.
»Werfen Sie Ihre Waffe in die Mülltonne!«, schrie der Mann auf Englisch.
Malone rang mit sich, ob er das Risiko eingehen sollte, doch der entsetzte Ausdruck im Gesicht der Frau mahnte ihn zu gehorchen.
Er warf seine Pistole in die Tonne, und das Poltern, mit dem sie dort landete, ließ erkennen, dass der Behälter ansonsten leer war.
»Bleiben Sie, wo Sie sind«, sagte der Mann und zog sich mit seiner Geisel die Straße entlang zurück.
Malone durfte nicht zulassen, dass die Spur hier endete. Dies war seine einzige Möglichkeit, Cassiopeia zu finden. Der Mann und seine Gefangene schoben sich weiter dem Ausgang der Gasse zu, die dort in eine belebte Straße mündete. An der Kreuzung schlenderten zahlreiche Fußgänger in beide Richtungen.
Malone stand fünfzig Schritte entfernt und sah den beiden nach.
Plötzlich ließ der Mann die Frau los, und sie rannten gemeinsam weg.
Ni musterte Pau Wen und begriff, dass er in die Falle getappt war, die dieser raffinierte Mann ihm gestellt hatte.
»Und was ist das Beste für China?«
»Kennen Sie die Geschichte vom listigen Fuchs und dem hungrigen Tiger?«, fragte Pau.
Ni beschloss mitzuspielen und schüttelte den Kopf.
»Der Fuchs war vom Tiger gefangen worden und wehrte sich mit den Worten: ›Wage es nicht, mich zu fressen, denn ich bin allen anderen Tieren überlegen. Wenn du mich frisst, verärgerst du die Götter. Falls du mir nicht glaubst, folge mir einfach und schau, was passiert.« Der Tiger folgte dem Fuchs in den Wald, und alle Tiere rannten weg, sobald sie die beiden sahen. Der Tiger war sehr beeindruckt, denn er begriff nicht, dass er selbst die Ursache für den Schreck der Tiere war. Daher ließ er den Fuchs laufen.« Pau hielt inne. »Wer sind Sie, Herr Minister, der listige Fuchs oder der ahnungslose Tiger?«
»Anscheinend ist der eine ein Dummkopf und der andere ein Trickser.«
»Leider gibt es keine anderen Bewerber um die Herrschaft über China«, sagte Pau. »Sie und Minister Tang haben ganze Arbeit geleistet und alle anderen Herausforderer beseitigt.«
»Bin ich dann Ihrer Meinung nach der Dummkopf oder der Trickser?«
»Diese Entscheidung liegt nicht bei mir.«
»Ich versichere Ihnen, dass ich kein Dummkopf bin«, sagte Ni. »In der gesamten Volksrepublik herrscht Korruption. Es ist meine Pflicht, uns von dieser Krankheit zu befreien.«
Das war keine kleine Aufgabe in einer Nation, in der ein einziges Prozent der Bevölkerung vierzig Prozent aller Vermögenswerte besaß, meistens aufgrund von Korruption. Bürgermeister, Provinzbeamte, hochrangige Parteifunktionäre – sie alle hatte er schon festgenommen. Bestechung, Veruntreuung, widerrechtliche Inbesitznahme, moralische Verworfenheit, Vorteilsnahme, Schmuggel, Verschwendung und offener Diebstahl, all das nahm überhand.
Pau nickte. »Das System, das Mao geschaffen hat, war von Anfang an von Korruption durchsetzt. Wie könnte es auch anders sein? Wenn eine Regierung sich nicht vor dem Volk verantworten muss, wird Unehrlichkeit zur schleichenden Krankheit.«
»Haben Sie deswegen das Land verlassen?«
»Nein, Herr Minister. Ich bin gegangen, weil mir schließlich alles, was geschehen war, verhasst geworden war. So viele Menschen sind niedergemetzelt worden. Es herrscht so viel Unterdrückung und Leid. China war schon damals ein Misserfolg, und das hat sich nicht
Weitere Kostenlose Bücher