Das verbotene Reich: Thriller (German Edition)
gesagt, wenn man irgendwo in dieser Gegend auch nur eine Schaufel in die Erde stecke, käme etwas von Chinas sechstausend Jahre alter Geschichte zum Vorschein.
Er hatte das perfekte Beispiel dafür vor sich.
1974 entdeckten Bauern, die einen Brunnen gruben, ein großes unterirdisches Gewölbesystem. Dort kamen schließlich achttausend lebensgroße Terrakotta-Soldaten zum Vorschein, außerdem hundertdreißig Streitwagen und sechshundertsiebzig Pferde. Sie bildeten eine geschlossene Schlachtformation – eine stumme Armee, nach Osten ausgerichtet. Jede dieser Figuren war vor mehr als zweitausendzweihundert Jahren geschaffen und aufgestellt worden. Sie bewachten einen Komplex unterirdischer Paläste, der eigens für die Toten angelegt worden war. Mittelpunkt der Anlage war das kaiserliche Grab Qin Shis – des Mannes, der fünf Jahrhunderte der Zerrissenheit und des Kampfes um die Vorherrschaft beendete und den erhabenen Titel Shi Huang annahm.
Erster Kaiser.
Wo damals der Brunnen gegraben worden war, stand jetzt das Terrakotta-Armee-Museum, dessen Zentrum die Ausstellungshalle bildete. Sie war mehr als zweihundert Meter lang und von einem eindrucksvollen Glasdach überwölbt. Trennwände aus gestampfter Erde unterteilten die Grube mit den Kriegern in elf parallel verlaufende Korridore, die mit alten Backsteinen gepflastert waren. Die Holzdächer, die einst von mächtigen Balken und Querträgern gehalten wurden, waren längst verrottet. Aber um die Kriegerstatuen vor Feuchtigkeit zu schützen, hatten die damaligen Erbauer sie klugerweise mit Flechtmatten und einer Lehmschicht umgeben.
Qin Shis ewige Armee hatte überdauert.
Tang betrachtete das Meer von Kriegern.
Jeder trug eine grob gewebte Tunika, einen Gürtel, Wickelgamaschen und Riemensandalen mit breiten Kappen. Man hatte acht Grundtypen von Gesichtern ausgemacht, aber kei ne zwei waren exakt gleich. Manche ließen mit fest geschlossenen Lippen und aufmerksam nach vorn gerichteten Augen auf Zuverlässigkeit und innere Kraft schließen. Andere zeigten Energie und Selbstvertrauen. Wieder andere strahlten etwas Nachdenkliches aus und ließen an die Weisheit von Veteranen denken. Verblüffenderweise riefen die starren Körper, die bestimmte vorgegebene Haltungen zahllose Male wiederholten, das Gefühl von Bewegung hervor.
Tang war schon früher hier gewesen und ging zwischen den Bogenschützen, Soldaten und von Pferden gezogenen Streitwagen umher. Er roch die fruchtbare Erde Shaanxis und stellte sich den rhythmischen Marschtritt vorbeiziehender Soldaten vor.
Hier fühlte er sich mächtig.
Qin Shi selbst war auf diesem geheiligten Boden gewandelt. Bis zum Jahr 221 v. Chr. hatten sieben Königreiche – Qi, Chi, Yar, Zhao, Han, Wei und Qin – zweihundertfünfzig Jahre lang um die Vorherrschaft gerungen. Qin Shi beendete diesen Konflikt, eroberte die Nachbarländer und errichtete ein Reich, in dem alle Macht bei ihm konzentriert war. Schließlich wurde das Land sogar nach ihm benannt, entsprechend der falschen Aussprache von Qin , die sich unter Ausländern etablierte.
Chin.
China.
Es fiel Tang schwer, von solch großen Leistungen unbeeindruckt zu bleiben. Obwohl Qin Shi vor langer Zeit gelebt hatte, wirkten manche Maßnahmen dieses Mannes bis heute nach. Er war der Erste, der das Land in Präfekturen unterteilt hatte. Diese setzten sich aus kleineren Einheiten zusammen, die er Bezirke nannte. Er schaffte das Feudalsystem ab und beseitigte die aristokratischen Kriegsherren. Gewichte, Maße und Währungen wurden vereinheitlicht, allgemeingültige Gesetze erlassen. Er ließ Straßen, eine Mauer zum Schutz der Nordgrenze und ganze Städte errichten. Entscheidender noch: Die verwirrende Vielfalt lokaler Schriftsysteme wurde durch einen einheitlichen Schriftzeichensatz ersetzt.
Aber der Erste Kaiser war nicht vollkommen.
Er setzte strenge Gesetze durch, erlegte seinem Volk hohe Steuern auf und verpflichtete Abertausende von Menschen zum Militärdienst oder zur Fron bei Bauprojekten. Millionen starben unter seiner Herrschaft. Ein Unterfangen in Angriff zu nehmen ist nicht einfach, aber schwieriger noch ist es, den Erfolg zu sichern. Qin Shis Nachkommen beherzigten diese Lektion des Ersten Kaisers nicht und ließen zu, dass vereinzelte Bauernaufstände sich zu weitflächigen Erhebungen ausweiteten. Drei Jahre nach dem Tod des Gründers zerbröckelte das Reich.
Eine neue Dynastie folgte.
Die Han.
Und die Nachfahren der Han dominierten das Land bis heute.
Tang
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