Das verbotene Reich: Thriller (German Edition)
Kommunisten ist unsere Vergangenheit gleichgültig.«
»Ihnen dagegen nicht?«
»Herr Minister, meine Methoden mögen unkonventionell gewesen sein, doch das Ergebnis ist eindeutig.«
Ni blieb vor dem Sockel stehen.
Tang hielt sich zurück, obgleich er sich von dem surrealen Bild angezogen fühlte – starr und unbeweglich lag der Anzug wie ein Roboter da. Aber Tang wurde allmählich ungeduldig. Er wollte wissen, warum Pau die vier Männer in Belgien getötet und Nis Leben gerettet hatte. Warum hatte der Meister ihn über die Öllampen in Qin Shis Grab belogen?
»Haben Sie den Anzug geöffnet?«, fragte Ni.
Pau schüttelte den Kopf. »Das kam mir nicht richtig vor. Qin verdient unseren Respekt, selbst noch im Tod.«
»Wie viele Hunderttausende sind gestorben, damit er herrschen konnte?«, fragte Ni.
»Das war in seiner Zeit notwendig«, gab Pau zurück.
»Und ist es immer noch«, fühlte Tang sich genötigt hinzuzusetzen.
»Nein«, entgegnete Ni. »Angst und Unterdrückung sind heute keine angemessenen Methoden mehr. Sie können doch sicher sehen, dass wir inzwischen weiter sind. Weltweit praktizieren zwei Drittel aller Länder Demokratie, wir aber können uns nicht einmal einige Vorteile dieser Regierungsform aneignen?«
»Nicht, solange ich etwas zu sagen habe«, erklärte Tang.
Ni schüttelte den Kopf. »Genau wie unsere kommunistischen Vorgänger werden Sie herausfinden, dass Gewalt nur eine kurzfristige Lösung darstellt. Damit eine Regierung Bestand hat, braucht sie die bereitwillige Unterstützung des Volkes.« Nis Gesicht wurde hart. »Hat einer von Ihnen beiden je das Petitionsbüro in Peking besucht?«
»Nie«, antwortete Tang.
»Jeden Tag kommen dort Hunderte von Menschen aus dem ganzen Land hin und stehen Schlange, um ihre Beschwerden einzureichen. Beinahe alle von ihnen sind Opfer von Gewalt geworden. Ihr Sohn wurde von einem Behördenvertreter geschlagen. Ihr Land wurde ihnen mit Unterstützung der lokalen Behörden von einem Immobilienhai weggenommen. Ihr Kind wurde entführt.«
Ni zögerte, und Tang wusste, dass er den Vorwurf absichtlich im Raum stehen ließ.
»Sie sind wütend auf die lokalen Behörden und überzeugt, dass sie ihren Fall nur in der Hauptstadt vorbringen müssen, damit jemand sich des Unrechts annimmt. Wir drei wissen, dass sie sich da bedauerlicherweise irren. Es wird überhaupt nichts geschehen. Aber diese Leute verstehen, was Basisdemokratie bedeutet. Sie wollen sich direkt an ihre Regierung wenden können. Wie lange können wir diese Menschen Ihrer Meinung nach noch ignorieren?«
Tang kannte die Antwort.
»Für ewig und alle Zeiten.«
77
Cassiopeia schlug hart auf dem Wasser auf und wurde von der überwältigend starken Strömung mitgerissen. Ihr Körper wurde herumgeschleudert wie in einem Tornado. Das Wasser war kalt, aber das war ihr kleinstes Problem. Ihre Hauptsorge war das Atmen, doch sie schaffte es, sich an die Oberfläche hochzustoßen und im gischtigen Schaum nach Luft zu schnappen, bevor das Wasser sie wieder packte.
Sie durfte sich nicht weiter mitreißen lassen. Irgendwann w ürde sie gegen einen Felsen geschleudert werden und sich zu mindest Knochen brechen oder den Schädel einschlagen, falls sie nicht sofort den Tod fand. Ihre Ohren waren von einem tiefen Dröhnen und dem Strudeln von Milliarden Luftbläschen gefüllt. Den Boden hatte sie noch nicht berührt.
Sie schnappte erneut nach Luft und erblickte weiter vorne etwas Ermutigendes.
Felsbrocken. Große. Ihre nassen Fronten ragten aus dem Wildwasser heraus.
Sie musste das Risiko eingehen.
Mit aller Kraft arbeitete sie gegen das Wasser an und versuchte, eine bestimmte Richtung einzuschlagen. Ihr Körper wurde rücksichtslos herumgeworfen, eine Wolke braunen Schaums quoll über ihr Gesicht. Sie hielt die Arme tastend vor sich ausgestreckt, bis ihre Hände gegen etwas Hartes stießen.
Aber sie prallte nicht ab.
Vielmehr klammerte sie sich fest.
Ihr Kopf tauchte auf.
Das Wasser donnerte an ihren Schultern vorbei, aber wenigstens trieb sie nicht mit.
Sie holte mehrmals tief Luft, zwinkerte sich das Wasser aus den Augen und merkte endlich, dass ihr eiskalt war.
Malone folgte einem Pfad, der von Stupas und Gebetsfelsen gesäumt war. Ein plötzlicher Wind trug den eiskalten Atem der benachbarten Gletscher heran. Er zitterte sowohl von der frischen Luft als auch einer nahezu überwältigenden Gefühlsanspannung. Seine Fäuste waren geballt und seine Augen feucht.
Wie viele Freunde musste er
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